Rückkehr nach Kenlyn
er sie umarmte und fest an sich drückte.
Es war, als habe sie in all den Monaten einen Teil von sich verloren gehabt, etwas, das wichtiger war als ein Arm, ein Bein oder ihr Herz. Nun, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit war sie wieder ganz. Jetzt wusste sie es: All die Zweifel und all die Kämpfe waren es wert gewesen. Die Welt war gerettet.
»Endriel!« Seine Hände, warm und weich, hielten ihr Gesicht, und seine Augen schienen ihren Anblick aufzusaugen. Er küsste sie – Barthaare pieksten und kitzelten sie, als seine Lippen ihre berührten. »Ich wusste, dass du kommst«, brachte er atemlos zwischen den Küssen hervor, »Ich wusste es!« Sein Atem war schlecht und seine Lippen rau, aber das war ihr egal.
Endriel löste sich von ihm, um den wilden, haarigen Einsiedler anzusehen, der aus ihm geworden war, und musste sich dabei immer wieder sagen: Er ist es, er ist echt!
»Ich liebe dich«, hörte sie ihn flüstern. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich es begriffen hab, aber ... ich liebe dich, Endriel.«
Sie konnte nicht aufhören zu heulen, sah ihn mit gelben Zähnen lächeln – und verpasste ihm eine Ohrfeige. Er sah sie verblüfft an. »Das ist dafür, dass es dir nicht früher eingefallen ist!«, sagte sie, und riss ihn wieder an sich, trank seine Lippen. Dann ließ sie ihn wieder los – und ihre Hand ließ einen zweiten Schlag folgen. »Und das ist für die Sorgen, die ich mir deinetwegen gemacht hab!« Und einen dritten. »Und das ist dafür, dass du mir das verdammte Passwort nicht gegeben hast, als ich es noch hören konnte!«
Kai rieb sich die Wange. »Waren das alle Schläge für heute?«, fragte er.
»Fürs Erste«, sagte sie – und sie beide fingen an zu grinsen, fielen sich wieder in die Arme, lachend und küssend.
Nelen spürte ihre Tränen, während sie lächelte. Miko ging es ähnlich: Er strahlte übers ganze Gesicht und freute sich für seinen (Ex-)Kapitän. Auch Xeahs Augen glänzten feucht. Endlich waren sie wieder vereint – nun gab es nichts, das sie gemeinsam nicht schaffen konnten, Wunder eingeschlossen.
Apropos Wunder ...
Vorsichtig blickte sie zu dem Sha Yang, der abseits der beiden Gruppen halb im Schatten stand. Er – oder sie ? – beobachtete Endriel und Kai mit unbewegter Miene. Manchmal zuckten die Flügel leicht, was Nelen als Zeichen von Ungeduld interpretierte. Sie hatte nicht gedacht, dass irgendjemand den Untergang des Saphirsterns überlebt hatte. Oder stammte er/sie/es gar nicht von Te’Ra?
Auf jeden Fall fiel es ihr schwer, den Blick wieder von dem blauhäutigen Wesen zu lösen. Es war der zweite Sha Yang, den sie in Fleisch und Blut sah und vielleicht das schönste Geschöpf im ganzen Universum. Aber irgendwie wirkte es so ... kühl.
Ihr Starren blieb nicht unbemerkt. Der Sha Yang drehte den Kopf in Nelens Richtung und sein Blick aus schräg stehenden, brauenlosen Augen traf die Yadi. Nelen sah weg – etwas in diesem Blick ließ sie sich so unbedeutend wie Fliegenkot vorkommen.
Sie drehte sich zu Keru, der links neben ihr stand. Sein Auge blinzelte in einem fort, während er zu Endriel und Kai sah.
»He, alles in Ordnung?«, flüsterte sie.
»Es ist nichts«, brummte Keru leise. »Nur Staub.«
»Na klar.« Nelen grinste wissend. »Staub.«
Es dauerte lange, bis die beiden bereit waren, sich wieder von einander zu lösen.
»Versprichst du mir, nicht zu verschwinden, wenn ich dich loslasse?«, fragte Kai, nur halb im Scherz.
Endriel lächelte. »Ja«, sagte sie. »Wenn du mir das Gleiche versprichst.«
Ein Räuspern von Keru ließ sie sich den anderen zudrehen.
»Schön, Sie wieder zu sehen, Kai«, sagte Xeah und neigte das Haupt. »Wir haben Sie vermisst.«
»Ja!«, stimmte Miko enthusiastisch zu.
»Nelen! Xeah! Keru! Miko!« Kai strahlte sie an. »Ihr ... ihr seht großartig aus!«
»Du dagegen siehst ziemlich struppig aus«, fand Nelen.
Kai berührte seinen Bart. »Schrecklich, oder? Ich kann’s kaum erwarten, das Ding wieder loszuwerden!«
»Und ein Bad wäre auch nicht schlecht.« Keru kräuselte die Nase.
Kai lachte – es war Musik in Endriels Ohren. Das Bedürfnis wurde übermächtig, mit ihm irgendwo hinzugehen, wo sie alleine waren, um all die Dinge zu tun, von denen sie das letzte halbe Jahr nur geträumt hatte. Sie öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, als sie wieder die Stimme des Sha Yang hörte, ohne dass sich dessen winziger Mund bewegte: » Euer Schiff – ist es funktionstüchtig? Kann es uns von hier wegbringen?
Weitere Kostenlose Bücher