Rückkehr nach Killybegs
Gewehr? Nur ein Verlierer. Zwei Männer wickelten sie in schwarze Decken und ließen sie unter den Kohlebriketts verschwinden.
Die ersten Einwohner tauchten um uns auf. Sie senkten den Kopf, wenn sie uns sahen. Keine Begeisterung, aber auch keine Feindseligkeit. Kein Zwinkern wie in Belfast, keine weit offenen Türen. Für viele Iren hier war der Krieg seit über dreißig Jahren vorbei. Wenn er im Norden weiterging, »auf der anderen Seite«, war das nicht ihr Bier.
Einige Mitglieder unserer Einheit gingen zu Fuß über die Felder nach Hause. Es waren Bauern, die in der Nähe wohnten. Andere hatten ihre Räder im Straßengraben liegen gelassen. Zwei stiegen in den LKW, die Revolver im Gürtel. Der Offizier drückte Danny und mir die Hand. Er nahm sich Zeit. Er wollte uns zeigen, dass er nichts zu befürchten hatte. Dass in dieser Gegend die Republik das Sagen hatte. In dem Moment kamen zwei Polizisten an der Kirche um die Ecke. Erblickten uns. Einer hielt den anderen mit einer Armbewegung an. Dann machten sie schweigend kehrt und gingen zurück.
»Hoffentlich haben wir euch nicht vertrieben?«, rief ihnen der IRA-Hauptmann lachend nach.
Ein Wagen kam, er stieg mit vier anderen ein und winkte uns durch das offene Fenster.
»Éirinn go Brách!« Ein Schauder lief mir über den Rücken. Das letzte Mal hatte ich diesen Slogan gehört, als Patraig Meehan George, dem Esel des alten McGarrigle, einen Fausthieb versetzte. Da war ich ein Kind gewesen. Und hatte mich für meinen Vater geschämt, für dieses »Irland für immer!«. Jetzt war es mein Leben.
Danny und ich fuhren mit dem Bus nach Belfast zurück. Die Grenze überschritten wir getrennt. Ich hasste die erste britische Fahne, die mir unterwegs in einem winterlichen Garten begegnete. Ich hasste die alberne Weihnachtsdekoration vor den weißen Vorhängen der reichen Häuser. Und sah auf mein gefrorenes Land. Seine Schönheit. Sein Unglück.
Ich empfand nichts. War nur erschöpft. Döste. Fragte mich, ob ich bei dem Angriff jemanden getroffen hätte. Aufs Sterben war ich vorbereitet, aufs Töten nicht. Hoffentlich müsste ich nie einem Toten in die Augen sehen. Ich hatte noch einmal Aufschub bekommen. Als Opfer und als Mörder. So ging es uns allen. Das wusste ich nur zu gut.
*
Am 16. Mai 1957, mit zweiunddreißig Jahren, wurde ich interniert. Verhaftet wie Hunderte andere Nationalisten auf beiden Seiten der verfluchten Grenze. Wieder ohne Anklage, ohne Prozess, ohne auch nur die Aussicht auf ein Urteil.
Wir waren zu dritt in der Zelle in Crumlin. In britischen Gefängnissen war kein Platz mehr für Einsamkeit. Die Hygiene war animalisch, das Essen exkrementalisch. Wir wusstennicht, ob wir für einen Monat oder zehn Jahre dort sein würden, Gefangene auf Zeit oder lebenslänglich. Die Schwächsten, die Ältesten, die Hoffnungslosen gaben auf. Für eine vorzeitige Entlassung verzichteten Hunderte von uns auf Gewalt. Auch Séanna. Hauptmann Séanna Meehan, mein Bruder. Die Kämpfe und das Gefängnis hatten ihn kaputt gemacht. Außerdem hatte er etwas gegen die sozialistischen Parolen, die seit Kriegsende bei uns die Runde machten.
»Ich bin ein irischer Patriot, kein Kommunist!«, sagte er, wenn wir von einem anderen Land träumten.
Er glaubte nicht mehr an unsere Bestimmung. Hielt die IRA für eine Mücke, die sinnlos um einen Löwen kreiste. Machte sich sogar über unsere Bewaffnung lustig.
»Drei Männer auf ein Gewehr? Da werden wir weit kommen!«
Er hatte keine Angst. Das war es nicht. Er weigerte sich, bei Leibesvisitationen die Arme zu heben. Spuckte auf die Wärter. Gab keinen Ton von sich, wenn er verprügelt wurde. Er war nur müde. Legte die Last der Republik ab. Wollte vom Kampf nichts mehr wissen. Streckte einfach die Waffen. Da war Malachy Meehan, unser Großvater, Mitglied der Irischen Bruderschaft, 1896 von den Briten getötet. Patraig Meehan, unser Vater, der daran gestorben war, dass er die Niederlage überlebte. Und ich, Tyrone Meehan, und er, Séanna Meehan. Und wer wäre morgen dran? Niall Meehan? Brian Meehan? Klein-Kevin Meehan? Sollten sie etwa auch noch die Gefängnisse der Engländer füllen oder durch ihre Gewehre fallen? Nur zu! Und warum nicht Baby Sara den Schlägen überlassen?
Wir redeten lange. Stundenlang hielt er meinen Kopf mit seinen großen Händen. Er würde den Pakt unterschreiben,seine Kapitulation. Würde zurückgehen zu unserer Mutter und die, die noch zu retten seien, weit wegbringen. Er flehte mich an, ihm zu
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