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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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folgen. Und ich, ich hatte nur überflüssige Worte darauf zu sagen, Worte von Toten. Ich schrie, ein Meehan lässt sein Land nicht im Stich. Er lachte böse.
    »Mein Land? Welches Land? Was tut denn dein Irland für uns? Und was hat es aus uns gemacht? Kannst du mir das sagen? Dein Problem ist, dass du die Welt aus deiner Straßenecke heraus betrachtest, Tyrone. Wenn ein alter Mann dir zublinzelt, ein Bengel dir applaudiert, wenn eine Tür sich für dich öffnet, dann glaubst du gleich, dein ganzes Volk steht hinter dir. Unsinn, kleiner Bruder! Was ist denn dein republikanisches Irland, Tyrone Meehan? Das sind zweihundert Straßen in Belfast und die verrotteten Ghettos von Derry, Newry und Strabane. Eine Handvoll lumpiger Dörfer. Die Protestanten haben in ihrem Ulster die Mehrheit und werden sie auch behalten. Dublin kehrt uns den Rücken. Die Iren verfolgen uns mit demselben Hass wie die Briten. Unser Leben spielt sich hinter Gittern ab, und wenn wir mal rauskommen, beklagen wir unser Elend. Und wer hört unsere Schreie? Wer wird uns verteidigen? Hitlerdeutschland vielleicht? Da haben wir aber eine politische Lektion gelernt! Unterstützung für alles, was unser Feind bekämpft? Wollen wir das, Tyrone Meehan? Für alle Zeiten mit dem Teufel tanzen?«
    Ich weinte vor Hilflosigkeit und Wut.
    »Mach die Augen auf, Tyrone! Wach auf ! Wir haben nicht bloß eine Schlacht verloren, sondern den Krieg. Den Krieg unseres Vaters. Es ist aus, kleiner Soldat! Aus, verstehst du? Wir sind ein paar tausend Eingeschlossene und rundherumlauter Taube. Wir müssen aufgeben, Tyrone. Und retten, was uns noch geblieben ist, dein Leben, unser Leben. Ich möchte Áine in einem Kleid sehen, für das sie sich nicht mehr schämen muss. Begreifst du das, Tyrone? Ich möchte Lachen hören, neue Gesichter sehen, Straßen ohne Soldaten. Das, was wir sind, will ich nicht mehr, kleiner Bruder. Ich bin von Irland erschöpft. Es hat zu viel von mir verlangt, zu viel gefordert. Ich habe genug von unserer Fahne, unseren Helden, unseren Märtyrern. Ich will mich nicht mehr schinden, um ihrer würdig zu sein. Ich gebe auf, Tyrone. Auch du wirst einmal aufgeben, das weiß ich. Irgendwann, nach der einen Verletzung zu viel. Ich will wieder atmen können. Verstehst du? Leben wie ein x-Beliebiger, der da draußen vorbeigeht. Ein Irgendwer sein. Ein Held von heute. Der samstags seinen Lohn nach Hause trägt und sonntags mit erhobenem Kopf zur Kommunion geht.«
    Mein Bruder kam im Oktober 1957 aus Crumlin raus. Mit Mamas Segen nahm er Brian und Niall mit in die Vereinigten Staaten, zu einem Onkel aus dem Finnegan-Clan.
    Als ich Ostern 1960 entlassen wurde, war er Cop in New York und verheiratet mit Déirdre McMahon, einer Emigrantin aus der Grafschaft Mayo. Am St Patrick’s Day marschierte er in Uniform hinter dem grünen Transparent der Hilfsorganisation Emerald Society mit seinen irischen Kollegen über die Fifth Avenue. Mama zeigte mir ein Foto, auf dem er vor einer Holzharfe posiert. Sie streichelte mit der Fingerspitze sein Gesicht, die Mütze, die fremde Uniform. Sie war weder stolz noch traurig noch sonst was. Ich legte ihr den Arm um die Schulter.
    Ich war sechsunddreißig Jahre alt. Wurde zum Leutnant der IRA befördert. Heiratete Sheila Costello. Ein Jahr später, am 14. August 1961, kam unser Sohn Jack zur Welt, unser einziges Kind. Außer ihm und Klein-Kevin war ich der einzige Meehan-Mann unter vier Frauen. Ich wusste, dass nur Mama uns noch zusammenhielt. Wenn sie einmal gestorben wäre, würde Róisín gehen. Dann Mary. Und Áine. Und Klein-Kevin und Sara würden einer von ihnen folgen wie einer Mutter. Aber schon jetzt, während meine Mutter mit irrer Stimme betete, sprachen meine Schwestern heimlich über Australien und Neuseeland. Und Áine träumte von England, was sie mir nie gestanden hat.
    Die »Border Campaign« sollte Gebiete in Nordirland befreien, um dort die Grundlagen für eine provisorische Republik zu schaffen. Es war ein Fehlschlag. Wieder einmal mussten wir ganz von vorn anfangen. Die Armee war zerschlagen, die Bewegung und unser Mut am Boden. Als die IRA ihre Kampagne im Februar 1962 offiziell für beendet erklärte, waren acht von uns gefallen, sechs Polizisten getötet und nur unsere Flüsse frei.

9
    Killybegs, Mittwoch, 27. Dezember 2006
    »Wer sitzt hier neben mir, Joshe oder Father Joseph Byrne?«
    »Wen wolltest du denn sehen, Tyrone?«
    Ich lächelte.
    »Du wolltest doch mit mir sprechen.«
    »Dann ist es Father

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