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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Schneise meines Feldwegs im Blick. Ich hörte schwere Schritte auf dem Weg. Und hatte zum ersten Mal Angst.
    *
    Vor knapp zehn Tagen hatte mich die IRA in einem Vorort von Dublin vernommen. Mir gegenüber Mike O’Doyle und ein alter Mann von der Spionageabwehr der IRA, den ichnicht kannte. Ich habe einfach gestanden, ein britischer Agent zu sein, Punkt. Das hatte ich der Presse gesagt und wiederholte es nun vor meinen früheren Waffenbrüdern. Der Rest ging sie nichts an.
    Ohne den Friedensprozess wäre ich mit einer Kugel im Nacken auf einer Müllhalde an der Grenze gelandet. Aber die IRA hatte die Waffen niedergelegt, und mein Schicksal war Teil dieser Verpflichtung. Sie würden mich nicht umbringen. Sie hatten die militärische Möglichkeit, aber nicht die politischen Mittel dazu. Und ich wollte, dass sie die Verantwortung für das, was mir zustoßen könnte, übernahmen. Ich hatte beschlossen, nicht zu fliehen. Ich würde in meinem Land bleiben. Und ich wollte, dass sie das wussten.
    »Ich gehe nach Hause, nach Killybegs, im Donegal.«
    »Schnauze, Meehan!«, brüllte der Ältere.
    Man konnte ihm die Überraschung ansehen.
    »Jetzt wisst ihr’s!«
    »Wir wollen nichts wissen.«
    Na und? Jetzt wussten sie es. Und saßen in meiner Falle. Ich war nicht mehr ihr Soldat oder ihr Gefangener, ich stellte mich unter ihren Schutz. Wenn mich einer umbrächte, egal ob Loyalist, Brite oder ein Tresennationalist mit seinem Jagdgewehr, würden alle die IRA bezichtigen. Da könnten sie noch so viel dementieren. Und es wäre vorbei mit dem Friedensprozess. Wenn die Republikanische Bewegung die Verhandlungen weiterführen wollte, musste sie mein Leben bewahren.
    »Was mache ich jetzt?«, fragte ich.
    »Deine Sache!«
    Ich war verblüfft.
    »Damit unterschreibst du mein Todesurteil, Mike O’Doyle, ist dir das klar?«
    Er schaltete die Kamera aus, die meine Vernehmung aufnahm.
    »Das hättest du dir früher überlegen sollen, Tyrone. Wir können nichts mehr für dich tun.«
    *
    Ein Typ kam den Weg entlang. Klein, kräftig, kurz geschnittene weiße Haare, zusammengekniffene Augen. Leere Hände,  eine Schultertasche. Als er mich sah, hielt er an und grüßte.
    »Tyrone Meehan?«
    Ich blieb in der Tür stehen.
    »Sind Sie Tyrone Meehan?«
    »Warum?«
    »Jeffrey Kerr, vom ›Donegal Sentinel‹.«
    Mit erhobener Hand verbot ich ihm, näher zu kommen. »Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Man erkundigt sich, zählt eins und eins zusammen …«
    Ein Journalist. Der Anfang vom Ende. Er spähte auf das Haus.
    »Darf ich eintreten?«
    »Nein.«
    »Darf ich etwas näher kommen?«
    »Was wollen Sie?«
    »Verstecken Sie sich für länger hier?«
    Er bewegte sich langsam, wie ein Kind, das einem Vogelnachstellt. Schnaufend und schwerfällig stolperte er durch die Fahrrille.
    »Ich verstecke mich nicht. Ich will nur in Ruhe gelassen werden.«
    »Werden Sie hierbleiben oder woanders hingehen?«
    »Ich gehe nirgendwohin. Bitte verschwinden Sie.«
    »In letzter Zeit wird viel über Sie geredet.«
    »Sehen Sie? Ich bin mitten im Nirgendwo und tue niemandem etwas zuleide, also gehen Sie jetzt!«
    Der Kerl atmete schwer. Schaute unglücklich auf meine Tür – der Blick dessen, der draußen bleiben muss. Dann hob er eine Hand und ging.
    »Wer hat Ihnen diese Adresse gegeben?«
    Der Journalist winkte ab. Drehte sich nicht einmal um.
    »Gegeben? Verkauft!«
    »Wer?«
    »Ein Freund von Ihnen, Timy Gormley.«
    Ich schüttelte den Kopf. Timy Gormley, sagte ich laut, der »König der Kais«! Ich rechnete nach. Es war das erste Mal seit fünfundsechzig Jahren, dass ich diesen Namen hörte. Als ich wegging, hatte der ramponierte Bandenchef Streit mit Joshe Byrne gesucht, dem narbengesichtigen Elf. Und jetzt, nach dieser langen Zeit, war Joshe ein alter Pfarrer geworden, Timy ein Schwein geblieben, und ich war gar nichts mehr.
    Ich wartete, bis die Autotür zuschlug und der Wagen abfuhr. Dann ging ich zurück ins Haus. Das Feuer war fast erloschen. Ich zog einen zweiten Pullover über den ersten. Mir wurde schwindlig. Ich setzte mich an den Tisch. Sah den Journalisten vor mir auf dem Weg, merkwürdig das Gleichgewichthaltend, fast seitwärts gehend, den linken Arm hinter dem Rücken. Jedes Mal, wenn ich mich bewegt hatte, hatte er sich mitbewegt. Ich fand ihn seltsam, nicht verdächtig. Und plötzlich wurde mir alles klar. Die Tasche, die Haltung, die Hand im Rücken, um keinen Schatten zu werfen – er hatte eine Kamera dabei und mich gefilmt. Er hatte

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