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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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meine Hütte entwendet, die Tanne, die Umgebung, mein unrasiertes Gesicht, meine müden Augen, meine zu große Hose, meinen weiten Pulli, meine schlammigen Schuhe. Er hatte ein bisschen zu schnell aufgegeben, fand ich, aber auf nichts verzichtet. Er hatte weder Stift noch Block herausgeholt. Er hatte schon vor seinem Kommen gewusst, dass ich ihm nichts sagen würde. Dass er weder mit einem Geständnis noch mit einem Reuebekenntnis in die Redaktion zurückkehren würde. Er hatte gar nicht die Absicht gehabt, meine Worte zu stehlen, nur mein Bild.
    Ich konnte nichts essen. Der »Donegal Sentinel« brauchte keinen Film. Der Kerl würde ein Foto für den Aufmacher herausnehmen und den Rest ans Fernsehen verkaufen. Das wusste ich. Da war ich mir sicher. Ich konnte nicht schlafen. Ich blieb am Tisch sitzen, den Kopf auf den Armen, den Anorak über die Schultern geworfen, und sah in die tanzende Kerzenflamme.
    An diesem Nachmittag hat man mich nicht ins »Mullin’s« reingelassen. In der Bridge Street wandten zwei Männer den Kopf ab. Eine Frau wechselte die Straßenseite. Vor der Tür zum Pub wartete der Wirt. Er wusste, dass das meine Zeit war. Ich wurde langsamer. Er stellte sich auf seine Schwelle. Ich sah ihn fragend an.
    »Wir wollen keinen Ärger, Meehan.«
    »Was für Ärger?«
    »Du bist in der Zeitung, im Fernsehen. Wir sind einfache Leute, weißt du. Das ist alles eine Nummer zu groß für unsere kleine Stadt.«
    Ich steckte die Hände in die Taschen. Und gab auf.
    »Besser, du kaufst dein Bier im Laden und trinkst es zu Hause.«
    Die Tür ging auf und ein Mann kam heraus. Er setzte seine Mütze auf, grüßte den Wirt, mied meinen Blick. Der Raum hinter ihm war voll. Der Tisch meines Vaters stand nicht mehr da, der Garderobenständer auch nicht. Sie hatten den Zigarettenautomaten umgestellt. Der nahm nun meinen Platz ein.
    »Tut mir leid, Meehan.«
    Tat es nicht. Ich glaube nicht, dass es ihm leidtat. Er ging in sein Lokal zurück. Ich sah noch einmal hin, ein letztes Mal, bis die Schwingtür hinter seinem Rücken zufiel. Die dunkle Holzvertäfelung, der alte Tresen, die vergoldeten Lampen, die hohen Hocker, die Stiche, die schwarz-rote Decke, die Lautsprecher ganz hinten, die kupfernen Zapfhähne, Wolken von Wärme und das Gerede der Leute. Ich ging nicht gleich. Überquerte die Straße und lehnte mich gegenüber an die Wand. Und hoffte, die Türe ginge noch einmal auf.
    »Los, Tyrone Meehan! Komm zurück! Ein letztes Bier noch zur Erinnerung. Zwei Mal nachgezapft und am runden Tisch, wie gewohnt! Aus Respekt vor deinem Vater und dir zu Ehren. In Erinnerung an den Jungen, der sich nicht traute reinzukommen oder durch den Raum zu gehen, der vom Rauchhusten musste und mit den Lippen den Schaum aus den hingehaltenen Gläsern nippte, der Patraig Meehan singen hörte, wenn er ihn vom Saufen abholte und Schritt für Schritt im Dunkeln nach Hause brachte. Auf dich, Tyrone Meehan! Bevor die Timy Gormleys dieser Welt und des Himmels dir den Garaus machen!«
    Ich kaufte mir eine Flasche Whiskey und lief durch die Stadt. Bis zum Festungsturm. Es war kalt. Raureif hatte alles bedeckt, das Gras, die Dornen, die Bäume, die Steinmauern. Einmal hatte mein Vater zu mir gesagt, Mama hätte es verdient, in einem Schloss zu leben. Und wenn sie sich zu Tode plagte, wären wir dran schuld. Wir Kinder. Das war im Sommer. Leichter, salziger Regen. Er war mit mir zu diesem Turm gegangen. Schnell, ohne auf mich zu warten. Dann setzte er sich auf die Felsen gegenüber der Ruine und erzählte mir die Geschichte dieses Bergfrieds. Dort hatte einst eine Frau gelebt, eine sehr schöne Frau, die mit ihrem Mann glücklich war. Der war ein Graf oder Prinz, das weiß ich nicht mehr genau, jedenfalls hatte er Arbeit. Als das erste Kind zur Welt kam, fielen die ersten Steine vom Turm. Beim zweiten wieder. Und je mehr die Familie wuchs, umso mehr verfiel der Turm. Eines Tages ging der Prinz zornig fort, und die Prinzessin wurde von einem riesigen Stein erschlagen, der sich vom Dach gelöst hatte.
    »Und die Kinder?«, fragte ich.
    Mein Vater erhob sich. Ging mir voraus mit seinen Vaterschritten.
    »Die Kinder? Die wurden zu Raben.«
    Er zeigte auf einen schwarzen Vogel am Himmel. »Schau, das ist Francis.«
    Ich folgte ihm mit ängstlichen kleinen Schritten. Leise weinend. Ich wollte unser Haus nicht ruinieren. Ich wollte nicht, dass Papa fortging. Ich wollte nicht, dass Mama starb. Ich wollte kein Rabe werden.
    Da war ich sechs Jahre

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