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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Flügel. Ich legte meinen Gurt an. Fing ihren Blick auf. Und las die stumme Frage darin: »Stimmt etwas nicht, kleiner Mann?«
    Ich schüttelte lächelnd den Kopf: »Alles in Ordnung, große Frau.«
    Unsere Blicke verschränkten sich ineinander. Ihre Lippen näherten sich meinem Ohr.
    »Ich liebe dich«, murmelte sie.
    »Ich dich auch«, sagte ich.
    *
    Die Briten hatten beschlossen, mit mir in der Menge unterzutauchen. Sie wussten, dass Paris an diesem 4. April 1981 demonstrierte. Wir mischten uns in den lärmenden Zug. Kein Vergleich zu unseren Märschen. Keine Kinder, keine Totenkränze, auch keine Soldaten. Sondern Luftballons, Trillerpfeifen, Lieder. Männer trugen Frauenhüte, Frauen Männerkrawatten. Ich fühlte mich nicht besonders wohl, aber auch nicht peinlich berührt. Mit meiner Mütze, meiner zu kurzen Hose, meiner Tweedjacke und meinem gesteppten Anorak sah ich nur einfach nicht nach dieser Stadt aus.
    Der rothaarige Cop ging links von mir, der Agent des MI5 rechts. Wir sprachen in normaler Lautstärke, die fremde Sprache fiel in dem Tumult nicht auf. Das Wetter war schön. Meine zwei Feinde trugen Sonnenbrillen.
    »Du bist nicht in der Position zu verhandeln, Tyrone. Aber wir haben dein Ansinnen geprüft.«
    Das war der Mann vom MI5.
    »Durch Erpressung oder Zwang wird niemand zu einem guten Agenten. Die, die man bedroht, brechen nach zwei gelieferten Informationen zusammen. Wir wollen eine andere Beziehung zu dir aufbauen.«
    »Du sollst auch was davon haben«, ergänzte der Cop.
    »Was davon haben?« Ich zuckte die Schultern. Ein Junge spielte im Laufen Trompete.
    »Ja. Freude will ich nicht behaupten, aber ein bisschen Befriedigung vielleicht.«
    »Deine Mitarbeit wird weder Verhaftungen nach sich ziehen noch Opfer fordern. Deine Informationen sollen dazu dienen, Leben zu retten, nicht Leben zu zerstören.«
    »Ist das ein Versprechen?«
    Der Cop sah mich an. »Ich gebe dir mein Wort drauf.«
    Zwei junge Leute auf dem Bürgersteig warfen mir eine Kusshand zu. Ich zog mir die Mütze über die Augen.
    »Von jetzt an bin ich ›Waldner‹. Das ist mein Codename. Der einzige, den du verwenden wirst«, sagte der Agent.
    Er sah mich von der Seite an.
    »Wiederhole.«
    »Waldner.«
    »Ich bin aus Liverpool. Und erst vor ein paar Monaten nach Belfast gekommen. Ich kenne keinen in den Vierteln, und keiner kennt mich. Das ist eine Garantie. Meine Anonymität wird dich schützen.«
    Die Menge wurde immer dichter.
    »Wenn mir etwas zustoßen sollte, ist dein Kontakt ›Dominik‹.«
    »Dominik?«
    Waldner deutete auf den rothaarigen Cop. »Franckie, dessen Vornamen du vergessen wirst.«
    Ich war sprachlos. Narkotisiert. Gefügig. Verloren in Paris, unter unverständlichen Spruchbändern und lautem Gelächter. Ich würde die Meinen verraten. Ich war ein brathadóirí , ein Spitzel. Das war der Anfang. Ich hatte mir diesen Moment anders vorgestellt, in einem stillen Raum mit grauen Wänden, und wurde hier von Farben überwältigt.
    »Du, Tyrone, wirst ›Tenor‹ sein.«
    »Wie ein Sänger?«
    »Wie ein Sänger.«
    »Waldner und Dominik sind auch Figuren aus ›Arabella‹, die unsere Frauen heute Abend sehen«, erklärte der Cop.
    »Sie ist deine Frau?«
    »Es gibt schwierigere Missionen. Aber wir schlafen getrennt.«
    Ich lachte. Zum ersten Mal seit meiner falschen Festnahme. Ich lachte wirklich, ein plötzlicher Schluckauf. Der Agent und der Cop sahen einander an. Ich ertappte sie bei diesem Blick. Sie waren erleichtert. Ich saß tief in der Falle. In einem tiefen Loch mit glatten Wänden. Durch nichts würde ich je wieder nach oben kommen. Ich gehörte ihnen, und sie wussten das. Waldner stieß mich mit dem Ellbogen an. Gleich würden wir ein Bier trinken und über etwas anderes reden.
    Auf der Esplanade vor dem Museum Beaubourg wusste ich schon alles. Ich musste mir zwei Telefonnummern merken. Es war an mir, Waldner zu kontaktieren. Aber keine Informationen per Telefon, niemals. Ich müsste nur »Tenor« sagen, das war der Code, dass wir uns am nächsten Tag zur Zeit des Anrufs träfen. Es gab zwei Treffpunkte, einen für jede Telefonnummer. Einmal den kleinen Friedhof in der Clifton Street im Norden von Belfast. Kein gutes Viertel für einen Katholiken, aber es war ruhig dort, und es gab zwei Eingänge. Der Agent des MI5 war darauf gekommen, als er meinen Zeitplan studierte. Seit zehn Jahren hielt ich jeden Juli eine Rede zum Tod von Henry Joy McCracken, einem Presbyterianer, der zusammen mit Wolfe Tone und

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