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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Robert Emmet die Society of United Irishmen gegründet hatte. Dazu reiste ich durch ganz Irland, ein Jahr nach Dublin, im nächsten nach Cork, Limerick oder Belfast, um sein Andenken wachzuhalten, vor Menschenmengen oder mageren Grüppchen, egal. Es war meine Pflicht, seinen Namen vor der Jugend zunennen. Daran zu erinnern, dass die Gründungsväter der irischen Republik Protestanten waren.
    Die britische Justiz hatte ihm angeboten, ihm das Leben zu schenken, wenn er gegen andere irische Rebellen aussagte, aber er hatte sich geweigert. Deshalb wurde er am 17. Juli 1798 gehängt und auf dem Friedhof von Clifton beigesetzt. Ich ging oft zu seinem Grab, um mich mit ihm zu unterhalten. Allein. Erzählte ihm von Tom Williams, der wie ein Bettler auf dem Gefängnisgelände von Crumlin verscharrt worden war. Und von Danny Finley. Und bat ihn um Rat. Er antwortete mir durch das Murmeln des Windes.
    Meine Anwesenheit auf diesem Friedhof würde niemanden wundern. Es gab dort eine geschützte Stelle an der Wand, die von einer Hausecke verdeckt war. Dort würden wir uns treffen. Ein Verräter am Grab eines Mannes, der gestorben war, weil er nicht geredet hatte.
    Der zweite Treffpunkt war die Post im Stadtzentrum. Weniger geschützt, aber anonymer. Zur Post zu gehen ist kein verdächtiger Akt. Auf dem Friedhof würden Informationen ausgetauscht. Auf der Post wortlos Unterlagen übergeben.
    Und dann wäre da auch noch Paris. Wo ich etwas Luft schnappen könnte. Wo ich in Sicherheit wäre und über alles und nichts reden könnte.
    »Was ist alles und nichts?«
    »Politik«, antwortete Waldner.
    »Politik?«
    »Interna aus deiner Partei, Zwistigkeiten, Entscheidungen. Die Dechiffrierung, wenn du so willst.«
    »Ich will nicht.«
    Er nickte verständnisvoll.
    »Werden Sie in Paris sein?«
    »Nein, hier triffst du dich mit ›Honoré‹.«
    »Honoré?«
    »Dort ist unsere Botschaft, Rue du Faubourg-Saint-Honoré.«
    »Du wirst ihn sicher mögen«, sagte der Cop.
    Im Notfall oder in besonders schwerwiegenden Fällen sollte ich nach Hause gehen, ›Tenor ist heiser‹ sagen und auf meine Verhaftung warten. Es war auch vereinbart, dass ich regelmäßig vorgeladen würde, wie alle Männer in unserem Viertel. Und sieben Tage festgehalten, wie es die »Sondergesetze« vorsahen. Dann hätte ich Zeit durchzuatmen, Bilanz zu ziehen, und würde dann wieder freigelassen, ohne Verdacht zu erregen.
    Plötzlich erstarrte ich. Vor mir küssten sich zwei junge Mädchen auf den Mund. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Keiner schaute hin. Sie lagen einander in den Armen und küssten sich.
    »Das ist eine Gay-Demo«, lächelte Waldner.
    »Gay?«
    Ich blickte mich um. Männer Hand in Hand, Frauen mit erhobenen Fäusten, unbekannte Parolen. Im Vorbeigehen klebte mir ein Mädchen ein rosa Dreieck auf den Anorak.
    »Entzückend«, spottete der Cop.
    Ich riss den Aufkleber ab. Zögerte. Und klebte ihn wieder an.
    »Willst du das nicht doch abmachen?«, fragte Waldner am frühen Abend, als wir auf einer Terrasse Bier tranken.
    »Ist doch jetzt völlig nutzlos«, knurrte der Cop.
    Die Demonstration war lange vorbei. Die Blicke der anderen waren ihnen anscheinend peinlich. Also sagte ich Nein. Nur so, ohne Aggression, ohne Spott. Mir war dieses Dreieck egal, aber es zeigte ihnen, dass ich nicht am Boden lag.
    »Auf unsere Frauen, unsere Freundinnen und dass sie einander nie treffen!«, sagte Waldner und hob sein Bierglas.
    »Auf Sheila«, antwortete ich.
    Abends traf ich sie im Hotel wieder. Sie hatte einen wunderbaren Nachmittag verbracht. Ich erzählte ihr von dem Kuss der beiden Frauen. Sie bekreuzigte sich lachend. Ließ mich im Sessel Platz nehmen. Ging ins Badezimmer. Kam mit einem Glas Wasser zurück und reichte es mir.

15
    Killybegs, Samstag, 30. Dezember 2006
    Gestern Morgen bekam ich Besuch. Ein Wagen hielt hinter der kleinen Brücke. Ich stand am Brunnen, um Wasser für die Nacht zu holen. Hörte den Wagen wenden. Stellte den Eimer auf den Brunnenrand. Eine Autotür schlug zu. Ich ging rückwärts zum Haus zurück. Während all dieser Jahre hatte ich Séannas Hurling-Stock aufbewahrt, der nun hinter meinem Sessel lag. Ich hatte aus Seil einen Griff darum geflochten und eine Lederschlaufe drangemacht, damit er gut in der Hand lag. Lächelnd hatte ich mir dabei vorgestellt, wie überrascht ein Mörder wäre, wenn er einem Einundachtzigjährigen mit einem antiquarischen Schläger in der Hand gegenüberstünde.
    Rückwärts gehend, hatte ich die

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