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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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nicht, aber sie werden auch nicht verhindern, dass es ein anderer tut«, antwortete Sheila.
    »Dann ist er ganz schlecht dran«, murmelte der Alte.
    Wir erhoben uns vom Tisch. Das Geschirr würde bis nächstes Jahr warten müssen. Sheila kam zögernd auf mich zu. Ich nahm sie in die Arme und verbarg mein Gesicht in ihren grauen Haaren. Der Moment der Glückwünsche war gekommen. Wir blieben einen Augenblick so stehen, unsere Schatten tanzten an den Wänden.
    »Viel Glück für uns«, flüsterte meine Frau.
    »Viel Glück für dich.«
    Ihre Wärme, ihre herbstliche Haut, der Holzrauch in ihren Haaren. Ich drückte ihr Schluchzen an mich.
    Plötzlich ihre schroffe Stimme: »Mein Gott, Tyrone! Was hast du uns angetan?«
    Das war keine Frage. Sondern ein Schmerz. Ich drückte sie nur noch fester. Auch ich weinte, ohne dass mein Körper es verriet. Der Schmerz einer Waise. Die gar nichts mehr hat, keine Mutter, keinen Vater, kein Land, das sie ernährt, und keinen Himmel, der sie schützt. Nur entsetzliche Einsamkeitund Schweigen für immer. Und ewige Kälte, so große Kälte. Ich war mir zuwider. Und weinte um mich.
    »Und was wird aus mir?«, fragte Sheila.
    Sie habe doch Jack, sagte ich, ihre Freunde und ihre Heimat.
    »Meine Heimat warst du, kleiner Mann.«
    Sie löste sich von mir und verbarg ihre Trauer mit ihrer Hand. In meinem Pullover und ihren Socken ging sie zu Bett, drehte sich zur Wand und suchte Schlaf. Er war uns beiden abhandengekommen. Ihr seit zehn Tagen, mir seit fünfundzwanzig Jahren.

17
    Nach meiner Entlassung aus Long Kesh hatte die IRA beschlossen, mich bis auf Weiteres aus dem Verkehr zu ziehen. Ich war zu sichtbar, zu bekannt. Der Führungsstab forderte mich auf, mich politisch zu betätigen. Also nahm ich an friedlichen Demonstrationen teil. Setzte mich unter den Bildern der Hungerstreikenden auf Stufen. Mischte mich mit einem Blumenkranz in der Hand unter die Menge. Zum Ostergedenktag marschierte ich nicht in schwarzer Uniform mit unseren Soldaten, sondern in den Reihen der Familien der Gefangenen. Für alle war ich ein Veteran der Decken, des Hygienestreiks. Ein ehemaliger Kämpfer.
    Eines Tages, als ich mit Sheila im »Thomas Ashe« ein Bier trank, trat ein britischer Soldat an unseren Tisch und fragte mich nach meinem Namen. Sein Offizier näherte sich lächelnd.
    »Schon gut. Meehan ist jetzt in Rente.«
    Sheila legte ihre Hand auf meine.
    »Lass es auf dich zukommen«, hatte der MI5-Agent mir geraten.
    Ich drängte nicht. Ich provozierte nichts. Ich ließ es auf mich zukommen. Vielleicht, sagte ich zu mir, reicht ihnen ja meine Einwilligung in den Verrat. In ihren Augen warich Agent. Aber ich war kein Verräter. Noch nicht. Ich hatte nichts gesagt, nichts getan, niemanden verraten. Es gab nur dieses eine Gespräch in Paris, das sie als Pakt ansahen. Ich hatte einen verrückten Gedanken. Ich hoffte, dass damit alles vorbei sei. Dass sie nichts von mir verlangen würden, nie.
    Das Gefängnis hätte mich verändert, wurde hinter meinem Rücken gemurmelt. Vor dem Hygienestreik hatte ich auch getrunken. Pints geleert wie jeder andere auf dieser Insel. Doch seit meiner Entlassung hatte ich zu trinken angefangen. Richtig zu trinken. Ich kannte ein paar solcher Kameraden. Die heimlich tranken, immer weiter weg von ihrem Viertel. Die andere ihren Wodka bestellen ließen, einen Jungen in den Schnapsladen schickten und ihm anboten, das Wechselgeld zu behalten. Die nicht zu den Treffen erschienen, Aufträge vergaßen. Wenn sie zu einer Gefahr für die Sicherheit wurden, trennte die Partei sich von ihnen. Dann zerschlugen sie ihr Glas und gelobten hoch und heilig Besserung. Trugen einen goldenen Pelikan am Kragen, um als Abstinenzler erkannt zu werden. Schütteten mit dem Blick Ertrinkender Mineralwasser in sich hinein. Und wurden oft wieder rückfällig.
    Ich hatte Schmerzen im Bauch, in den Gelenken, im Kopf. Morgens humpelte ich immer eine Weile, bevor ich normal gehen konnte. Zitterte. Bier war mein Wasser, Wodka mein Schnaps. Ich hatte mir eine Trinkflasche aus grünem Leder und Metall gekauft, die 11 Deziliter fasste. Ich hatte es abgemessen: 7 Esslöffel und 22 Teelöffel.
    Zwei Mal hatte mich der Wirt des »Thomas Ashe« diskret gebeten zu gehen. Beim dritten Mal rief ich alle Anwesenden als Zeugen an: Dieses Schwein setzte den Freund von DannyFinley vor die Tür. Ich riss die Tischdecke samt den Sandwiches von dem großen Tisch herunter. Warf sie mir wie eine Gefängnisdecke um die

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