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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Dieselben überraschten Gesichter. Sie versuchten zu verstehen. Und ich spielte. Und lachte innerlich. Und machte den nächsten Zug. Ich kannte das Spielin- und auswendig. Ich hatte ja selbst die Regeln aufgestellt. Waldner hielt sich für stärker, Honoré hielt sich für klüger, der Cop hatte immer schon vorher Angst – und ich tanzte auf meinem Seil.
    »Lasst Joe Cahill kommen und alle anderen, und ich entschuldige mich öffentlich.«
    Auch Mike O’Doyle nahm jetzt seine Mütze ab. Ihm war plötzlich eingefallen, dass er sich ja unter meinem Dach befand. Also zog er vor einem Offizier blank.
    Das Bärchen war bleich.
    »Was erzählst du da, Tyrone?«
    »Wie, was erzählst du da? Ich entschuldige mich. Ich bin bereit, auf die Bühne des ›Thomas Ashe‹ zu klettern und dort niederzuknien, und das genügt euch nicht?«
    Ich holte mir ein Bier aus der Küche, sah sie beim Trinken an – und siegte. Der Tod verpisste sich. Sie waren ganz klein und das Zimmer riesengroß.
    Ich senkte die Stimme.
    »Ich hätte bei Toms Beerdigung nicht trinken sollen. Keinen Skandal machen. Das weiß ich. Aber dafür schickt man doch keine Einheit los, das ist übertrieben.«
    »Man sagt, du bist ein Verräter, Tyrone.«
    Das Bärchen hatte den ersten Schritt gewagt. Ich spuckte mein Bier aus. Und richtete mich auf.
    »Ich habe mich wohl verhört.«
    »Ein britischer Agent«, sagte Mike O’Doyle.
    Der Tod war zurück. Er war ums Viertel gelaufen, hatte vor dem Fenster Fratzen geschnitten, wollte schon weg, blieb dann aber doch und klopfte nun an die Tür.
    »Raus! Alle beide!«
    »Tyrone …«, setzte Mike an.
    »Schnauze, O’Doyle! Was weißt du denn schon? Was haben sie dir beigebracht, seit du in der Armee bist? Die Briten haben zwei Methoden der Kriegsführung: Propaganda und Gewehre!«
    »Ich weiß, Tyrone.«
    »Nein!«, brüllte ich. »Nichts weißt du, gar nichts! Wir sind dabei, diesen Krieg zu gewinnen. Sie haben darauf verzichtet, uns zu töten, dafür wollen sie uns jetzt zur Strecke bringen! Sie schmeißen uns ein Gift hin, und zack schlucken’s alle und du gleich mit!«
    Jetzt war ich richtig in Rage. Mit Blut im Mund und mörderischen Fäusten. Ich spielte nicht mehr. Sondern brüllte meinen Zorn heraus, dass die ganze Straße es mitkriegte. Die Tür oben ging auf, ich hörte Sheilas Schritte auf den ersten Stufen. Ich bebte. Die Lippen verzerrt, Schaum in den Mundwinkeln, die Lider gesenkt, um die Blitze aus den Augen zu verbergen. Mein ganzer Körper war auf den Barrikaden.
    »Und was hört man sonst noch? Waren es nicht vielleicht mehr? Zwei? Zehn? Die ganze Stadt? Und wer sagt mir, dass du kein Verräter bist, Mike O’Doyle? Und du, Eugene Murray, der die ganze Zeit Fragen stellt?«
    Die beiden tauschten einen Blick. Sheila kam langsam herunter.
    »Ihr macht die Drecksarbeit für die Briten! Ist euch das klar? Los! Wir denunzieren Tyrone Meehan! Und vielleicht auch noch Mickey? Die Brüder Sheridan? Oder Déirdre, die kleine Braut? Und was ist mit Sheila?«
    Ich drehte mich abrupt um. Meine Frau stand mit verschränktenHänden bleich und barfuß auf der untersten Stufe wie früher Mama.
    »Verdammt! Hast du uns nachspioniert, Sheila Meehan?«
    »Nein.«
    Wie das Piepsen einer Maus.
    Ich nahm sie am Arm. Schüttelte sie, bis sie das Gleichgewicht verlor.
    Sie brach in Tränen aus. Sie hatte Angst. Zum ersten Mal tat ich ihr weh. Wirklich. Und empfand dabei nichts.
    Sie fiel hin. Ihr Morgenmantel klaffte über der Brust auf. Das Bärchen senkte den Kopf. Mike wagte sich vor.
    »Hör auf, Tyrone!«
    Ich war gerade durchgedreht. Sheila hatte sich aufgegeben. Lag mitten im Zimmer auf der Seite.
    Mike umklammerte mich. Das Bärchen versuchte meiner Frau aufzuhelfen. Sie wehrte sich. Fiel schwer zurück. Unsere Blicke trafen sich. Sie war am Boden zerstört. Sie lag auf der Seite, das Gesicht zur Wand, die Hände vorm Gesicht und die Knie an den Bauch gezogen, wie ein Kind vor der Geburt oder ein Greis vor dem Tod.
    Patraig Meehan! Ich sah ihn im Spiegel des Küchenschranks. Ein Drecksack mit erhobener Faust, bereit zu prügeln, bis Tränen flossen. Mein Vater und seine Kinder. Klein-Tyrone und Klein-Sheila, Geschwister im Grauen. Mike drückte mich an die Wand. Ich spuckte.
    »Seht sie euch an, ihr Schweine! Schaut, was ihr meiner Frau angetan habt!«
    Die Eingangstür ging auf. Zwei Jungs traten ein, Veteranen des Dritten Bataillons.
    »Die Nachbarn werden unruhig«, sagte der Ältere.
    Ich brüllte noch einmal, ein

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