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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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letztes Mal, damit die Nacht mein Zeuge sei.
    »Ich bin Tyrone Meehan, Soldat der irischen Republik! Und niemand wird mich daran hindern, für die Freiheit meines Landes zu kämpfen!«
    Einer der óglachs machte eine besänftigende Handbewegung.
    »Lass ihn los, Mike.«
    Er ließ mich los. Ich stand aufrecht, die Beine gespreizt, die Arme auseinander, und machte die Bewegung eines Mannes, der seine Ketten sprengt.
    Das Bärchen ging als Erster hinaus. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er dem Schandfeld den Rücken. Mike setzte seine Mütze wieder auf. Und sah mich an. Ich hielt seinem Blick stand. Enttäuscht verzog er das Gesicht. Er passierte die Tür und der Tod mit ihm. Auch die beiden anderen verließen das Zimmer. Auf der Straße drehte der Ältere sich um. Flanagan, glaube ich. Ich war ihm in Long Kesh begegnet.
    »Du weißt, wo du uns findest, Meehan, warte nicht zu lange.«
    Dann ging er hinaus.
    Ich wartete. Die Tür stand weit offen. Eine Nachbarin tauchte auf, ein Wolltuch um den Kopf. Sie machte eine Handbewegung und schloss sie leise.
    Sheila hatte sich nicht gerührt. Lag immer noch an der Wand, die Hände schützend um ihren Nacken gelegt. Sie zitterte, das linke Bein zuckte. Sie stöhnte. Ich kniete mich neben sie, legte mich dann in ihrem Rücken selbst auf die Seite, in Löffelchenstellung, wie sonntagmorgens, wenn wirZeit hatten. Nahm sie in die Arme. Drückte sie ganz fest. Ihre Haare in meinem Gesicht, ihre Finger in meinen, ihr welker Geruch. Mein Atem wartete auf ihren, um wieder einzusetzen. Ich glühte. Sie war eisig.
    Ihre Stimme. Eine Schmerzensstimme.
    »Was hast du getan, kleiner Mann?«

22
    Morgens waren unsere Milchflaschen zerbrochen. Glassplitter auf dem Treppenabsatz und den steinernen Stufen. Brady, der Milchmann, hatte zum Zweiten IRA-Bataillon gehört. Er war ein tapferer Mann. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er frühmorgens Flaschen gegen die Hausmauer warf.
    »Sicher einer von den Jungen«, murmelte Sheila.
    Ja, sicher.
    Sheila ging zu Terry Moore, dem kleinen Gemischtwarenladen an der Ecke, um Brot und unsere Zeitungen zu holen. Terry hatte mit mir in Crumlin gesessen, sein Sohn Billy war meinem nach Long Kesh gefolgt. Jeden Morgen legte uns Terry vier Zeitungen zur Seite, seit Jahren. Zuerst die »Irish News«, die Zeitung der katholischen Gemeinde Nordirlands. Dann den »Newsletter«, deren protestantischen Konkurrenten. Schließlich den »Guardian« und die »Irish Times«, die in London und Dublin herausgegeben wurden. Alle Bewohner des Viertels bestellten ihre Zeitungen, das war so üblich. Sorgfältig schrieb Terry mit blauem Kugelschreiber die Familiennamen an den Rand. Am Ende der Woche beschriftete er, wenn er in Form war, unser Bündel mit »Ronnie« oder »Weeman«. Ein schlichtes »Meehan« zeigte, dass es ein Problem gab zwischen uns, ein Wort zu viel nach dem Glaszu viel. Das hielt nie lange an. Am nächsten Morgen kritzelte er einen kleinen Kinderkopf mit meinem Vornamen auf das Zeitungspapier und so etwas wie »Gib mir ein Guinness aus, und wir reden nicht mehr darüber«. Das war unsere Art, Frieden zu schließen.
    An diesem Freitagmorgen, dem 15. Dezember 2006, kam Sheila mit Brot, aber ohne Zeitungen wieder.
    »Wieso hat er sie nicht zurückgelegt?«
    »Er hat sie nicht zurückgelegt. Das ist alles, was er gesagt hat.«
    »Sonst nichts? Sicher?«
    Ja, sicher. Sie erzählte von dem Schweigen im Laden, von Éirinns Blick hinter dem Tresen, von Terrys Verlegenheit. Er habe ihr das Paket mit Brot, Eiern, Schinken und Würsten überreicht. Als sie die Hand nach dem Zeitungsstapel auf dem Glastisch ausgestreckt habe, habe der Händler mit gesenktem Blick gemurmelt: »Heute nicht, Sheila.«
    »Warum?«
    »Du hast was zum Frühstück, sei froh.«
    Ich sprang vom Tisch auf, wutentbrannt. Ich wollte zu Terry, dem Gemischtwarenhändler, zu Brady, dem Milchmann, zu jedem einzelnen Nachbarn. Was sie für ein Problem mit uns hätten? Ob wir nachts zu laut gewesen seien? Schlecht über wen geredet, jemandem geschadet hätten? Ich wollte los, durchs Viertel laufen, die Fäuste voller Fragen, doch Sheila hielt mich auf. Ich fiel in meinen Sessel zurück. Sie nahm mich bei der Hand und kniete sich vor mich hin.
    »Wenn du reden willst, rede mit mir. Wenn du nicht willst, kann ich es verstehen, aber ich bitte dich, Tyrone, lüg mich nicht an.«
    Sie stand auf. Ließ Wasser in eine Schüssel laufen und schrubbte mit einer Bürste kniend die Milch von der Türschwelle.
    Ich

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