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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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ihren Gin in meinen Rest Bier. Sah die halbvoll stehen gelassenen Gläser auf den anderen Tischen und beschloss, beim Abräumen zu helfen und heimlich das Durcheinander auszutrinken.
    Nein. Sie wissen nichts. Es war nur ein blöder Abend. Einer dieser Abende, wie sie mich seit fünfundzwanzig Jahren verfolgen. Ich kann nicht mehr in den Augen lesen, die Lippen sagen mir nichts mehr. Ich halte Umarmungen für Anrempeln und Schweigen für Verachtung.
    Und doch blieben in dieser Nacht in meinem Club die Blicke stumm. Nicht die der Frauen, der entfernten Freunde, der Weggefährten, aber die der Waffenbrüder. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich die IRA so, wie der Feind sie sieht. Denn sie war da, die IRA. Trotz Waffenstillstand und Friedensprozess, trotz der Vernichtung unserer Waffen war sie da. An diesem übervollen Tisch, hinter der Theke, in jener murmelnden Gruppe, an der Tür, in den Gängen, im dunklen Anzug, im hellen Hemd, voller Feindseligkeit. Ich spürte ihr Misstrauen. Erkannte ihre Gesten, ihre Art, ihre Vermeidung. Mein Leben lang habe ich Menschen verdächtigt. Und wie! Ihre Namen in ein befreundetes Ohr geflüstert, mit dem Finger auf sie gezeigt. Bin von meinem Hocker gestiegen oder auf die andere Straßenseite gegangen, um dem Verdächtigen ins Gesicht zu sagen, dass er verschwinden soll. Und heute war ich der Verdächtige. Ich, Tyrone Meehan, wurde bei diesem Fest beobachtet und überwacht. Die Auster, an Mickeys Schulter gelehnt, zeigte mit dem Finger auf mich. Ich trankaus einem Glas, das mir nicht gehörte. Ein bitterer Likör. Mir war heiß und kalt. Ich wollte kotzen. Spürte Bauch und Herz nicht mehr. Ich hatte Angst. Als Déirdre an meinen Tisch kam, stand ich auf.
    »Ein Glas für Tyrone Meehan, schnell! Sonst desertiert er!«, rief die Braut.
    Ein Typ gab mir ein dunkles Bier. Fünf standen noch da, aber schon viel zu lange, die Schaumkrone war weg. Das Sheridan-Mädchen setzte sich auf meinen Schoß.
    »Du schaust vielleicht drein, Sheilas kleiner Mann!«
    Weil meine Frau mich immer so nannte, hatte sich dieser Kosename im ganzen Viertel verbreitet, dann in der Stadt und vielleicht sogar im ganzen Land. Ich entschuldigte mich bei der Braut.
    »Ich bin immerhin schon einundachtzig, junge Frau. Die Tage sind lang, wenn das Ende naht.«
    »Das Ende? Du wirst doch hundert, Tyrone Meehan!«
    Sie erhob sich lachend und gab Sheila, die an den Tisch zurückkehrte, einen Kuss. Ich begegnete Mike O’Doyles unangenehmem Blick. Hundert Jahre? Da hat er sicher den Kopf geschüttelt.
    *
    Der nächste Tag war ein Sonntag. Ich saß im Wohnzimmer und las die »Sunday World«. Um elf klingelte mein Handy.
    »Tyrone? Hier Dominik.«
    Ich verschüttete meinen Kaffee.
    »Punkt zwölf am Friedhof.«
    Aufgelegt.
    Den rothaarigen Cop hatte ich lange nicht mehr gesehen. Ich war auch lange nicht mehr am Grab von Henry Joy McCracken gewesen. Stumm stand ich auf. Sheila war in der Kirche. Ich ging dort nicht mehr hin. Sie hatten mir die Kommunion versagt, ich entzog ihnen meine Gebete. Ich nahm ein Taxi, nicht meinen Wagen. Sonntag. Regen, die grauen Fassaden im Norden der Stadt, keiner auf der Straße. Dann lief ich herum, zu Fuß und im Kreis, die Zeitung in der Hand, und dachte über meine Rolle nach. Ich hatte meine Mütze und meine dunkle Brille aufgesetzt und den Schal bis übers Kinn gezogen.
    Als ich zum dritten Mal meine Runde drehte, lehnte der Cop an einem Zaun. Sobald er mich sah, stieg er in einen Wagen und öffnete die Beifahrertür. Ich sah mich um. Die Traurigkeit des siebten Tages. Ich stieg ein, und er fuhr los.
    Instinktiv klappte ich die Sonnenblende herunter, um mein Gesicht zu verbergen. Er fuhr Richtung Autobahn. Ich war wütend. Wir hatten abgemacht, dass immer ich anrufen würde. Keine Rede davon, mich wie einen Domestiken herbeizuklingeln. Ich wollte als Erster sprechen und drehte mich zu ihm hin. Er sah auf die Straße.
    »Es ist vorbei, Tyrone.«
    Mir blieb die Luft weg.
    »Was ist vorbei?«
    Er sah immer noch weg.
    »Du, ich, Dominik, Tenor, die ganze Scheiße.«
    Ich ließ mich tief in den Sitz sinken. Legte den Sicherheitsgurt an, den ich vergessen hatte. Ich glaube, ich habe gelächelt. Vorbei. Das war’s. Ich würde wieder leben.
    »Und warum erzählst du mir das? Ist Waldner nicht da?«
    Schweigen. Eine Kinnbewegung.
    »Die Engländer, Tyrone, du weißt doch …«
    »Was weiß ich?«
    »Er ist nach London zurück. Sein Auftrag ist erledigt.«
    »Und Honoré?«
    »Wieder an der

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