Rueckkehr nach River's End
ihn nur als verwöhnten, selbstsüchtigen, launischen, gutaussehenden Jungen betrachtet. Inzwischen hat er sich zwar besser im Griff, aber das Temperament lauert immer noch im verborgenen. Das konnte man an seiner Reaktion auf Jamie Melbourne sehen.
Ich frage mich, wieviel von dem, was er mir erzählt, der Wahrheit entspricht. Was er als die Wahrheit ansieht, oder was schlicht gelogen ist.
In einem Punkt bin ich mir ganz sicher: Er will wieder im Rampenlicht stehen. Er will erkannt werden, er will die Aufmerksamkeit, die ihm verweigert wird, seitdem er nach San Quentin kam. Und er will sie zu seinen Bedingungen. Ich glaube nicht, daß er Mitleid sucht. Ich glaube nicht, daß es ihm um Verständnis geht. Aber das hier ist seine Geschichte. Er hat den Zeitpunkt gewählt, an dem er sie erzählen will, und er hat mich als Adressaten ausgesucht.
Das ist eine interessante Wendung - der Sohn des Cops, der ihn verhaftet hat, schreibt sein Buch. Die Presse wird diesen Aspekt ausschlachten, und das ist ihm bewußt.
Sein Kommentar über Jamie Melbourne ist bemerkenswert. Wahrheit, Einbildung oder Lüge? Es dürfte spannend werden, das herauszufinden.
Das spannendste ist allerdings, daß er bisher nicht nach Olivia gefragt, ihren Namen noch nicht einmal erwähnt hat.
Noah fragte sich, ob Jamie das tun würde.
Noah wusste , daß Jamie Melbournes PR-Firma Constellations zu den renommiertesten der Entertainment-Branche zählte. Sie hatte Büros in Los Angeles und New York eröffnet und vertrat die bekanntesten Namen.
Außerdem wusste er, daß Jamie bis zum Tod ihrer Schwester ausschließlich für Julie gearbeitet hatte, und das hauptsächlich von zu Hause aus.
Es bestand kein Zweifel daran, daß Jamies Stern tatsächlich nach Julies Ermordung aufgegangen war.
Was das bedeutet, würde sich zeigen, dachte Noah, während er durch die Tore des feudalen Anwesens in Holmby Hills fuhr.
Seinen Nachforschungen zufolge hatten die Melbournes das Haus 1986 bezogen. Sie hatten ihr bescheideneres Heim verkauft und waren hierher übergesiedelt. Seidem waren sie für ihre aufsehenerregenden Partys bekannt.
Das Haupthaus bestand aus drei Stockwerken und strahlte so weiß wie eine Hochzeitstorte. Vor dem säulengesäumten Eingang erstreckte sich eine lange Terrasse. Vom Haupthaus aus erstreckten sich rechts und links symmetrisch noch zwei weitere Gebäudeflügel. Glaswände gaben den Blick auf üppig blühende Gärten und kunstvoll geschnittene Zierbäume frei.
Zwei lebhafte Golden Retriever kamen schwanzwedelnd über den Rasen gesprungen, um Noah zu begrüßen.
»Hallo!« Er öffnete die Autotür und verliebte sich sofort in die beiden. Er bückte sich, kraulte ihnen vergnügt die Ohren und murmelte Koseworte. Jamie kam mit einem angenagten Tennisball über den Rasen geschlendert.
»Das sind Goodness und Mercy«, sagte sie, lächelte jedoch nicht, als Noah zu ihr aufsah.
»Wo ist Shirley?«
Jetzt umspielte der Hauch eines Lächelns ihren Mund. »Sie hat ein gutes Zuhause gefunden.« Jamie hielt den Ball hoch. Die Hunde zitterten aufgeregt und starrten mit begierigen Augen zu ihr auf. Endlich warf sie den Ball, und die beiden jagten hinterher.
»Guter Wurf«, murmelte Noah.
»Ich halte mich draußen fit. Auch heute ist es zu schön, um im Haus zu bleiben.« Außerdem hatte sie noch nicht entschieden, ob er ihr in ihrem Haus willkommen war. »Lassen Sie uns ein Stück gehen.«
Noah musste zugeben, daß sie tatsächlich fit aussah. Jamie war zweiundfünfzig Jahre alt und wäre glatt für vierzig durchgegangen. Sie wirkte um so attraktiver, weil sie es nicht darauf anlegte, wie zwanzig auszusehen.
Die wenigen Falten verliehen ihrem Gesicht Charakter, aber es waren ihre Augen, die auffielen. Ihr Blick war dunkel, intelligent und unerschrocken. Ihr Haar war schwarz gefärbt und auf Kinnlänge geschnitten, was die Form ihres Gesichts unterstrich und den Eindruck hinterließ, daß sie eine reife Frau mit Stil und schlichter Eleganz war.
Sie war zierlich gebaut, schlank und trug ihre rostfarbene Hose und das schlichte Hemd selbstbewusst und leger. Sie ging wie eine Frau, die daran gewöhnt ist, auf eigenen Füßen zu stehen und sich durchzusetzen.
»Wie geht es Ihrem Vater?« fragte sie schließlich.
»Es geht ihm gut, danke. Sie wissen wahrscheinlich, daß er letztes Jahr pensioniert wurde.«
Jetzt lächelte sie flüchtig. »Ja. Fehlt ihm seine Arbeit?«
»Anfangs schon, bis er begann, sich im Jugendzentrum der Nachbarschaft zu
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