Rueckkehr nach River's End
dann einen Felsvorsprung entlang, von dem aus sie den silbernen Fluß sehen konnten. Hier, wo die majestätischen Elche vorbeizogen und Biber zum Waschen herkamen, gab es noch viele andere Wildtiere.
»Davon träume ich oft.« Noah sprach mehr zu sich selbst, blieb stehen und sah sich um.
»Vom Wandern?«
»Nein, davon, hier zu sein.« Er versuchte, sich die flüchtigen Fragmente seines Unterbewusstseins in Erinnerung zu rufen. »Der Wald ist grün und dicht, in der Nähe plätschert Wasser. Und... ich suche dich.« Seine Augen hefteten sich an ihre, hielten ihren Blick mit einer plötzlichen Intensität, die sie verwirrte. »Olivia, ich suche schon seit langer Zeit nach dir.«
Als er auf sie zutrat, spürte sie, wie ihr Herz flatterte. »Wir haben noch einen lange Weg vor uns.«
»Das glaube ich nicht.« Sanft legte er ihr seine Hände auf die Schultern und ließ sie zu ihren Handgelenken gleiten. »Bleib eine Minute bei mir.«
»Ich will nicht...«
»... auf dem Pfad küssen«, schloss er. »Pech gehabt.« Er senkte den Kopf und streifte ihre Lippen einmal und dann noch ein zweites Mal. »Du zitterst.«
»Tu ich nicht.« Ihre Knie waren viel zu weich, um zu zittern.
»Vielleicht liegt es an mir. Jedenfalls sieht es ganz danach aus, als ob ich dich endlich gefunden hätte.«
Sie befürchtete, daß er recht hatte.
Aber sie zog sich zurück und ging weiter, weil sie nicht wusste , was sie antworten sollte.
Der erste Fluß, den sie erreichten, floss klar und schnell an ihnen vorbei. Eine Holzbrücke überspannte ihn, und an den Ufern wuchsen wilder Fingerhut mit tiefrosafarbenen Glocken und die zweifarbigen Trompeten der Akelei.
Die alten Bäume wuchsen so gerade wie Soldaten, so hoch wie Riesen, und ihre Spitzen flüsterten im Wind, der den Waldboden nie erreichte.
Durch die Zweige entdeckte Noah die dunklen Flügel eines Adlers vor dem klaren blauen Sommerhimmel.
Hier, zwischen den Farnen und Moosen, fanden sich weiße Farbtupfer, die gerüschten Spitzen der Waldmabel, die blutroten Venen des Waldsauerklees mit seinen schneeweißen Blütenblättern und die winzigen Kelche der Schaumblüte.
Feenblumen, dachte Noah, sie verstecken sich im Schatten oder tanzen an einem unruhigen Fluß.
Schweigend setzte er seinen Rucksack ab.
»Ich nehme an, das bedeutet, du willst eine Pause einlegen.«
»Nur eine Weile hier sitzen. Das ist ein wunderschönes Fleckchen.«
»Dann willst du wohl kein Sandwich.«
Seine Brauen gingen in die Höhe. »Wer hat das behauptet?«
Als sie nach hinten griff, um den Rucksack abzunehmen, war er bereits da und hob ihn an.
Mit dem Fleckchen hatte er recht. Hier konnte man wunderbar sitzen und sich entspannen, den Körper ausruhen und seine Batterien aufladen. Das Wasser glitzerte in den spärlichen Sonnenstrahlen, die durch das Laubdach drangen. Ein scharfer Fichtenduft lag in der Luft, Farn wuchs dunkelgrün am Ufer. Zwei Walddrosseln flogen lautlos vorbei, und tief aus dem Wald erklang der laute Ruf eines Raben.
»Wie oft kommst du hierher?« fragte Noah, als von seinem Sandwich nur noch Krümel übrig waren.
»Vier oder fünf Mal pro Jahr führe ich Gruppen her.«
»Deine Arbeit habe ich nicht gemeint. Wie oft kommst du her, um hier zu sitzen und eine Weile lang gar nichts zu tun?«
»Schon lange nicht mehr.« Olivia atmete tief durch, lehnte sich auf ihre Ellenbogen zurück und schloss die Augen. »Schon sehr lange nicht mehr.«
Sie wirkt entspannt, stellte Noah fest. Als ob ihre Gedanken endlich zur Ruhe gekommen seien. Er brauchte nur sein Gewicht zu verlagern, um seine Hand auf ihre legen, ihre Lippen berühren zu können.
Sie seufzte sanft und öffnete die Augen, um ihn anzusehen. »Langsam mache ich mir Sorgen, Noah. Sag mir, was du von mir willst.«
»Ich finde, daß ich ziemlich offen zu dir war. Und ich frage mich, warum es uns beide überrascht, daß ich während der ganzen Zeit, vielleicht sogar von Anfang an, etwas für dich empfunden habe. Ich brauche Zeit, um herauszufinden, was diese Gefühle bedeuten. Aber in diesem Augenblick, Liv, will ich nur dich.«
»Hast du dich je gefragt, ob es in Ordnung ist, daß diese Verbindung, die deiner Meinung nach zwischen uns besteht, aus einem Mord entstanden ist?«
»Nein. Aber du anscheinend.«
»Vor sechs Jahren habe ich nicht darüber nachgedacht. Aber jetzt tue ich es. Es ist ein Teil meines Lebens, ein Teil von dem, was ich bin. Ein wichtiger Teil. Monster und Opfer, beide sind in mir.« Sie zog die Knie an,
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