Rueckkehr nach River's End
Olivia so eng an sich gedrückt, daß es beinahe wehgetan hatte.
Danach hatte Livvy ihr Heimweh nicht mehr erwähnt.
Als sie nun die gedämpften Stimmen hinter der Tür zum Zimmer ihrer Großeltern hörte, kletterte sie aus ihrem Bett und schlich aus dem Raum. Tante Jamie hatte zwar gesagt, daß Großmama und Großpapa auch schliefen, aber wenn sie schon aufgewacht waren, konnten sie vielleicht draußen zusammen spielen. Großmama und Großpapa hielten sich gern im Freien auf. Großpapa sollte mit ihr auf einen Baum klettern.
Er hatte ihr erzählt, daß in Washington manche Bäume so hoch wuchsen, daß sie den Himmel berührten. Olivia hatte sie als kleines Baby dort besucht, und dann noch einmal, als sie zwei war, deshalb konnte sie sich nicht daran erinnern. Sie fragte sich, ob Großpapa ihr vielleicht einen dieser Bäume, die bis an den Himmel reichten, suchen würde, damit sie bis ganz oben hinaufklettern und ihre Mutter rufen konnte. Sicher würde Mama sie hören, wenn es ihr nur gelänge, nahe genug an den Himmel heranzukommen.
Als sie die Tür öffnete, erkannte sie, daß ihre Großmutter weinte. Ihre Tante saß neben ihr und hielt ihre Hände. Es tat weh, die Großmutter so zu sehen, aber Olivia fürchtete sich geradezu, als sie in Großvaters Gesicht blickte. Es wirkte verkrampft, seine Augen waren dunkel und zornig. Als er sprach, klang seine Stimme ganz hart, so als ob er versuche, die Worte hinauszustoßen, anstatt sie auszusprechen. Olivia wich zurück und machte sich ganz klein.
»Es ist mir egal, warum er es getan hat. Er ist wahnsinnig, wahnsinnig vor Eifersucht und Drogen. Er hat sie umgebracht, er hat sie uns weggenommen, das ist das einzige, was zählt. Dafür muss er büßen, jeden Tag seines jämmerlichen Lebens muss er dafür bezahlen!«
»Wir hätten sie nach Hause holen sollen.« Noch immer liefen die Tränen über Großmutters Wangen. »Als sie uns sagte, daß sie und Sam Probleme hätten, hätten wir sie dazu überreden sollen, mit Livvy eine Zeitlang zu uns zu ziehen, um sich über die Situation klarzuwerden.«
»Wir wusste n schließlich nicht, daß er gewalttätig geworden war, wusste n nicht, daß er ihr wehgetan, daß er sie geschlagen hatte.« Großpapa ballte seine Hände zu Fäusten. »Wenn ich das erfahren hätte, wäre ich sofort hergekommen und hätte mich selbst um den Hurensohn gekümmert.«
»Wir können die Uhr nicht zurückdrehen, Dad.« Jamies Stimme klang matt, denn sie fühlte sich mitschuldig. Sie hatte es gewusst und ihnen nicht gesagt. Julie hatte sie gebeten, es den Eltern zu verschweigen. »Wenn es möglich wäre, würde ich hundert Dinge tun, um es im nachhinein zu verhindern. Aber das kann ich nicht, und jetzt müssen wir damit leben. Die Presse...«
»Scheiß auf die Presse!«
Olivias Augen wurden immer größer. Großpapa hatte doch noch nie das schlimme Wort in den Mund genommen. Sie konnte nur staunen, während ihre Tante gefasst den Kopf schüttelte.
»Nun, Dad, es wird nicht mehr allzu lange dauern, dann scheißen sie auf uns. So läuft das nun mal. Sie werden Julie heiligsprechen oder sie zur Hure erklären. Oder beides. Um Livvys Willen müssen wir die Sache so weit wie irgend möglich unter Kontrolle behalten. Es wird ohnehin schon genügend Spekulationen über ihre Ehe und ihre Beziehung zu Sam geben - und über andere Männer, insbesondere Lucas Manning.«
»Julie war keine Ehebrecherin«, schnappte Großmama.
»Das weiß ich doch, Mom. Aber so läuft das nun mal.«
»Sie ist tot«, erklärte Großpapa stumpf. »Julie ist tot. Wieviel schlimmer kann es noch kommen?«
Wie in Zeitlupe wich Olivia von der Tür zurück. Sie wusste , was das bedeutete. Blumen waren tot, wenn sie braun und steif wurden, und dann warf man sie weg. Als Tiffys alter Hund Casey gestorben war, hatten sie im Garten ein Loch gegraben und ihn mit Erde und Gras zugeschaufelt.
Tot bedeutete, daß man nie mehr zurückkommen konnte.
Sie bewegte sich von der Tür fort, während ihr Atem in ihrer Brust heiß und zäh wurde, während Bilder von Blut und zerbrochenem Glas, von Monstern und Scheren durch ihren Kopf jagten.
Dann brach dieser heiße Atem aus ihr heraus, verbrannte ihr Herz. Sie stürzte davon. Und sie begann zu schreien.
»Mama ist nicht tot! Mama ist nicht tot und in einem Loch im Garten! Sie kommt zurück! Sie kommt schon bald zurück!«
Sie rannte weiter, obwohl sie ihren Namen riefen, die Stufen hinunter, durch den Hur. An der Haustür kämpfte sie mit der
Weitere Kostenlose Bücher