Rueckkehr nach River's End
Klinke, Tränen rollten über ihre Wangen. Sie musste nach draußen. Sie musste einen Baum finden, einen Baum, der bis in den Himmel wuchs, damit sie hinaufklettern und ihre Mutter zurückrufen konnte.
Endlich gab die Tür nach, und Olivia lief hinaus. Überall standen Menschen. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Plötzlich schrien alle durcheinander, eine riesige Welle von Geräuschen brach sich über ihrem Kopf, schmerzte in ihren Ohren. Sie presste ihre Hände dagegen, rief weinend nach ihrer Mutter.
Ein Dutzend Kameras fingen das Bild begierig ein, weideten sich an dem Augenblick, an ihrer Trauer und ihrer Furcht.
Jemand schrie, daß man sie in Ruhe lassen solle, schließlich sei sie noch ein Kind. Aber die Journalisten stürmten wie rasend auf sie zu. Die Sonne brach sich an ihren Linsen und blendete sie. Olivia sah Schatten und Umrisse, nahm verschwommen unbekannte Gesichter wahr. Fremde Stimmen riefen Fragen und Befehle.
Hierher sehen, Olivia! Hier drüben.
Hat dein Vater versucht, dir wehzutun?
Hast du sie streiten gehört?
Sieh mich an, Olivia. Sieh in die Kamera.
Sie erstarrte wie ein Kitz am Waldrand, mit benommenen, wilden Augen. Dann wurde sie von hinten hochgehoben, sie spürte den Duft und die Arme ihrer Tante.
»Ich will zu Mama, ich will zu Mama.« Sie konnte es nur flüstern. Tante Jamie hielt sie fest.
»Sie ist noch ein Kind!« Jamie konnte sich nicht beherrschen, sie schrie laut los. »Verflucht, seht ihr denn nicht, daß sie ein Kind ist?«
Sie steuerte auf das Haus zu und schüttelte entschlossen den Kopf, bevor ihr Mann und ihre Eltern heraustreten konnten. »Nein, bleibt drinnen. Gebt ihnen nicht noch mehr Munition. Von nun an sagen wir ihnen überhaupt nichts mehr.«
»Ich bringe sie nach oben.« Großmamas Augen waren jetzt trocken. Trocken, kühl und ruhig. »Du hast recht, Jamie. Wir kümmern uns nur noch um das Jetzt.« Sie preßte die Lippen gegen Olivias Haar und begann, die Treppe hinaufzusteigen. Für sie war Olivia das Hier und Jetzt.
Diesmal schlief Olivia vor Angst und Verwirrung erschöpft ein, während ihre Großmutter auf sie aufpaßte. Das, so be schloss Val, würde von nun an ihre Aufgabe sein.
In einer weniger beruhigenden Umgebung dachte auch Frank Brady an das Kind, mit dem er am Vormittag gesprochen hatte. In Gedanken sah er wieder ihre großen braunen Augen, die vertrauensvoll in die seinen aufgeblickt hatten, während er nur seinen Job erledigte.
Für Frank war Sam Tanner das Hier und Jetzt.
Trotz der Stunden im Gefängnis und der Tatsache, daß er sich offenbar verzweifelt nach einer Prise Koks sehnte, hatte Sams Attraktivität kaum gelitten. Es schien, als ob er sich auf die Rolle des gepeinigten Liebhabers vorbereitet hätte, geschockt, unschuldig und leidend, aber immer noch attraktiv genug, um beim weiblichen Anteil des Publikums den Beschützerinstinkt zu wecken.
Sein Haar war dunkel, dicht und zerzaust. Unter seinen blauen Augen lagen Schatten. Seit er ständig zum Kokain griff, hatte er ein paar Kilo eingebüßt, was seinem Gesicht einen romantisch-ausgezehrten Touch verlieh.
Seine Lippen bebten, seine Hände waren ständig in Bewegung-
Sie hatten ihm seine verdammten Klamotten weggenommen und ihm ein verwaschenes graues Hemd und viel zu weite Hosen ausgehändigt. Seinen Gürtel und seine Schnürsenkel hatten sie einkassiert. Er war als selbstmordgefährdet eingestuft worden und wurde dementsprechend ständig überwacht. Doch die gesamte Tragweite seiner Situation lag zur Zeit immer noch unter einem dichten Nebel aus Schock und Verlangen nach seiner Lieblingsdroge begraben.
Das Verhörzimmer hatte beigefarbene Wände und einen breiten, von einer Seite durchsichtigen Spiegel. Außerdem gab es einen Tisch und drei Stühle. Sobald er versuchte, sich zurückzulehnen, wurde ihm schwindlig. In der Ecke stand ein Wasserspender mit lauwarmem Wasser und konischen Bechern. Die Luft roch abgestanden.
Frank saß ihm gegenüber und schwieg. Tracy lehnte an der Wand und unterzog seine Fingernägel einer eingehenden Betrachtung. Die Stille und der überhitzte Raum trieben Sam Schweißperlen auf den Rücken.
»Ich weiß nicht mehr, als ich Ihnen bereits gesagt habe.« Sam konnte die Stille nicht mehr ertragen und stieß die Worte hervor. Nach dem ersten Verhör war er sich sicher gewesen, daß sie ihn nach Hause schicken würden, damit er endlich in Erfahrung bringen konnte, was aus Julie und Olivia geworden war.
O Gott, Julie.
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