Rueckkehr nach River's End
komisches Gefühl, von dem sie nicht sagen konnte, ob es gut oder schlecht war. Sie wusste nur, daß es anders war als alles, was sie bisher empfunden hatte - wie eine Art Trommeln direkt unter ihrem Herzen. »Ich nehme an, das Leben hier hat sehr wenig mit Los Angeles gemeinsam.«
»Überhaupt nichts. Aber es ist nicht übel. Mom steht auf Natur und so. Du weißt schon, rettet die Wale, rettet die Fleckeneule, rettet was auch immer. Sie kann sich richtig hineinsteigern.«
»Wenn mehr Menschen so denken würden, gäbe es nichts zu retten.«
Sie sprach so hitzig, daß er lächeln musste . »Genau das sagt sie auch immer. Soll mir recht sein. Ich bevorzuge die Natur im Stadtpark, dazu einen Basketballkorb.«
»Ich wette, du warst noch nie angeln.«
»Warum auch?« Er grinste sie kurz an, was das Trommeln in ihrer Brust noch verstärkte. »Schließlich kann ich doch zu McDonald's gehen und mir einen Fishmac bestellen.«
»Igitt.«
»Hey, was heißt hier igitt? Du würdest natürlich lieber einen armen Wurm auf einen Haken pieksen und ihn ersäufen, damit du einen zappelnden, schleimigen Fisch aus dem Wasser ziehen kannst!« Er freute sich über ihr vorsichtiges Lächeln und den erwachsenen Humor in ihren Augen. »Das ist doch widerlich.«
»Das ist geschickt«, berichtigte sie ihn beinahe altjüngferlich, hielt aber inzwischen ihren Blick auf ihn und nicht mehr auf den Fluß gerichtet. »Ist es in der Stadt nicht furchtbar trübselig und voller Krach, Verkehr und Smog und so weiter?«
»Klar.« Er lehnte sich bequem zurück. »Deshalb gefällt es mir dort auch so gut. Es ist immer etwas los.«
»Hier ist auch was los. Schau.« Sie vergaß ihre Schüchternheit und legte spontan eine Hand auf sein Bein.
Ein paar Biber schwammen munter den Fluß hinauf. Ihre glänzenden Köpfe glitten an der Oberfläche entlang, und das Wasser kräuselte sich in immer größer werdenden Ringen um sie. Dann erhob sich am anderen Ufer ein Reiher und schwebte mit majestätisch schlagenden Flügeln über das Wasser, so nah, daß sein Schatten sie streifte.
»Ich wette, so etwas hast du in der Stadt noch nie gesehen.«
»Vermutlich nicht.«
Noah amüsierte sich über die Biber. Sie waren tatsächlich ziemlich putzig, stellte er fest, wie sie einander umkreisten, planschten und herumwirbelten, um auf dem Rücken zu schwimmen.
»Du weißt über meine Mutter Bescheid.«
Noah sah Olivia scharf an. Sie starrte wieder auf das Wasser, ihre Miene gefaßt, das Kinn fest. Er hatte ihr Dutzende von Fragen stellen wollen, falls sich eine günstige Gelegenheit dazu ergab, aber nun, da die Tür geöffnet war, stellte er fest, daß er es nicht über sich brachte.
Schließlich war sie noch ein Kind.
»Ja. Es ist furchtbar.«
»Hast du schon einmal einen ihrer Filme gesehen?«
»Klar, jede Menge.«
Olivia presste die Lippen zusammen. Sie musste es wissen, irgend jemand musste es ihr sagen.
»War sie gut?«
»Hast du denn noch keinen gesehen?« Als sie den Kopf schüttelte, verlagerte Noah sein Gewicht. Er wusste nicht, was er ihr antworten sollte. Die beste Antwort, sagte seine Mutter immer, ist die schlichte Wahrheit. »Sie war wirklich gut. Ich stehe normalerweise auf Actionfilme, weißt du, aber ich habe ihre Filme im Fernsehen gesehen. Mann, sie war unglaublich schön.«
»Ich wollte nicht wissen, wie sie aussah«, schnappte Olivia, so daß er sie überrascht anstarrte. »Das weiß ich selbst. War sie eine gute Schauspielerin?«
»Klar. Wirklich gut. Man hat ihr die Rollen geglaubt. Ich nehme an, darum geht es bei Schauspielern.«
Olivias Schultern entspannten sich. »Ja.« Sie nickte. »Sie ging von hier fort, weil sie Schauspielerin werden wollte. Man hat ihr die Rollen geglaubt«, flüsterte sie, und dann ver schloss sie diesen einfachen Satz in ihrem Herzen. »Dein Vater... Er ist hergekommen, weil ich ihn darum gebeten habe. Er ist ein guter Mensch. Du hast Eltern, die sich um viele Dinge Gedanken machen, und auch um Menschen. Das ist etwas Besonderes.«
Sie stand auf. »Ich gehe sie holen, damit sie auch die Biber sehen können.«
Noah blieb, wo er war. Er hatte ihr zwar nicht die Fragen gestellt, die ihm durch den Kopf gingen, dafür aber hatte sie ihm eine andere beantwortet. Wie man sich fühlte als Tochter von jemandem, der brutal ermordet worden war.
Man fühlte sich beschissen. Ganz beschissen.
Noah
Für die Wahrheit braucht es zwei - Einer spricht und einer hört.
- HENRY DAVID THOREAU
Neuntes
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