Rückkehr zum Mars
herein und setzte sich neben ihn. »Ich hab mir gerade was zu trinken geholt, als ich Dex' Dad schimpfen hörte.«
Sie trug ihren unförmigen, korallenroten Rollkragenpullover und weite Jeans statt des üblichen Overalls, und sie saß so nahe bei ihm, dass Jamie den zarten Duft des Kräutertees roch, den sie trank, und seine Wärme spürte.
»Der alte Mann muss Dex verboten haben, auf diese Exkursion zu gehen«, erklärte er, »aber Dex hat mir nichts davon gesagt.«
Vijay trank einen Schluck aus dem dampfenden Becher. »Hätte er das tun sollen?«
»Es wäre ganz hilfreich gewesen.«
»Vielleicht hatte er Angst, du würdest die Exkursion absetzen, wenn du's wüsstest.«
Jamie schüttelte den Kopf. »Das könnte ich nicht. Wenn jemand wie Trumball erst mal glaubt, er könnte einen rumkommandieren, dann wird man ihn nie wieder los.«
Ein knappes, zustimmendes Nicken. »Da ist was dran.«
»Ich hoffe nur, dass nichts passiert, während Dex dort draußen ist«, sagte Jamie.
»Hast du das nicht sowieso gehofft? Schon vor Trumballs Anpfiff, meine ich.«
»Ja sicher, aber … du weißt, was ich meine.«
»Ja, ich glaub schon.«
»Du hast mit ihm geschlafen, stimmt's?«, entfuhr es Jamie.
»Mit Dex?«
»Während des Fluges.« Jamie war schockiert, dass er das Thema ansprach. Die Worte waren herausgekommen, bevor ihm klar wurde, was er sagen würde.
Vijay nickte. Ihre Miene war unergründlich. »Ja. Einmal.«
»Einmal«, wiederholte er.
Mit einem seltsamen kleinen Lächeln sagte Vijay: »Man erfährt eine Menge über einen Mann, wenn er die Hosen runtergelassen hat.«
Jamie wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.
»Ich hab dir gesagt, er ist ein Alpha-Männchen«, fuhr sie fort. »Genau wie du.«
Er nickte bedrückt.
»Ich fühle mich zu Alpha-Männchen hingezogen.«
»Du fühlst dich also zu ihm hingezogen.«
»Damals, ja. Jetzt fühle ich mich zu dir hingezogen.«
»Zu mir?«
Sie lächelte. »Siehst du sonst noch jemanden hier?«
Jamie war durcheinander. Sie macht sich über mich lustig. Sie macht sich bestimmt über mich lustig.
Vijay stellte ihren Becher auf den Rand der Konsole. »Du fühlst dich doch auch zu mir hingezogen, nicht?«
»Äh … sicher.«
Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Bleibt also nur noch eine Frage: zu mir oder zu dir?«
Jamie erhob sich langsam. Er war nicht sicher, ob seine Beine ihn tragen würden. »So einfach ist das nicht, Vijay. Das hast du selbst gesagt.«
»Das war damals. Jetzt ist jetzt.«
»Aber …«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Mein Gott, Jamie, du bist ja genauso schlimm wie die meisten Aussie-Kerle!«
»Ich wollte nicht …«
Sie trat zu ihm und legte ihm die Arme um den Hals. »Fühlst du dich nie einsam?«, sagte sie leise. »Hast du nie Angst? Wir sind so allein hier. So weit weg von zu Hause. Macht dir das nie zu schaffen?«
Jetzt war ihr Ton nicht mehr neckisch. Er hielt sie fest und spürte, wie sie zitterte. Unter all dem flapsigen Gerede zitterte sie vor Angst.
»Ich will heute Nacht nicht allein sein, Jamie.«
»Ich auch nicht«, gestand er. »Ich auch nicht.«
DOSSIER:
VARUNA JARITA SHEKTAR
Es war schon schlimm genug, eine weitere Tochter in einer Familie mit vier Mädchen und einem Jungen zu sein. Dass sie intelligent und attraktiv war, machte die Sache nur noch schlimmer. Dass sie als dunkelhäutige Hindu-Frau in Melbourne unter blonden Aussies aufwuchs, die gegenüber Frauen entweder kein Wort herausbrachten oder den aggressiven Macho mimten, half auch nicht gerade.
In der Grundschule riefen die Lehrer sie bei dem Namen, der in der Schulakte stand: V.J. Shektar. Die anderen Kinder tauften sie sofort Vijay, und sie nahm den Namen beglückt an, weil sie sich damit wohler fühlte als mit Varuna Jarita, den Namen, die ihre Eltern ihr gegeben hatten.
Ihre Mutter hatte sie als Baby der mächtigen Göttin Sakti geweiht, deren Name ›Energie‹ bedeutet. In dem weit gespannten Hindu-Pantheon verkörpert Sakti jungfräuliche Unschuld und blutrünstige Zerstörung: eine ewige Jungfrau, aber auch die Göttin der verbotenen Freuden.
Ihr Vater ignorierte sie meistens, außer wenn er sich den Kopf darüber zerbrach, woher er angesichts seines kargen Gehalts als beeidigter Wirtschaftsprüfer bei einem kleinen Rechnungsführer, dessen Klientel fast ausschließlich aus lokalen indischen Firmen bestand, das Geld für eine weitere Mitgift nehmen sollte.
Als jüngste Tochter der Familie hatte sie Mut und
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