Rückkehr zum Mars
Energie in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Mutter versuchte, Vijay mädchenhafte Tugenden beizubringen, während ihre älteren Schwestern anfingen, sich mit Jungen zu treffen, und dann eine nach der anderen von der höheren Schule abgingen, um zu heiraten und selbst Babies zu kriegen. Ihr Bruder ging ans College, der Stolz seines Vaters.
Vijay weigerte sich, die Schule zu verlassen und sich einen Mann zu suchen. Als ihr Vater drohte, ihr Gehorsam einzubläuen, zog sie zu Hause aus und lebte auf sich allein gestellt mit mehreren Freunden und Freundinnen zusammen. Nachts arbeitete sie in Restaurants, Videoläden und überall, wo man eine ernsthafte, ehrliche High-School-Absolventin im letzten Schuljahr einstellte, die nicht die Absicht hatte, sich von einem Mann verführen zu lassen.
Anschließend ging sie mit einem Stipendium aus dem australischen Ausbildungsförderungsprogramm an die Melbourne University und versprach, dem Staat den größten Teil davon zurückzuzahlen, sobald sie ihren Abschluss in der Tasche hatte und ihr eigenes Geld verdiente. Während sie ihren Lebensunterhalt immer noch aus eigener Kraft bestritt, qualifizierte sie sich mit Leichtigkeit für ein Medizinstipendium. Ihre Mutter gab alle Hoffnung auf, dass sie jemals heiraten und eine anständige Familie gründen würde. Ihr Vater erlag in ihrem letzten Jahr an der Universität einem Krebsleiden und gab erst auf dem Totenbett zu, dass er stolz darauf war, was sie erreicht hatte.
Zu der Zeit, als Vijay ihr Praktikum im Universitätskrankenhaus ableistete, hatte sie gelernt, dass Sex nicht nur Spaß machte, sondern auch als Machtmittel eingesetzt werden konnte. Für gewöhnlich wählte sie den Spaß, obgleich sie es auch ziemlich oft genoss, von der Macht Gebrauch zu machen, die der Sex ihr verlieh. Während die meisten ihrer Freundinnen sich beklagten, die australischen Männer seien ›entweder Flegel oder Trottel‹, stellte Vijay fest, dass es in ihrer Welt eine Menge intelligenter und nachdenklicher Männer gab. Die meisten waren anfangs schüchtern, aber das machte sie nur umso anziehender, soweit es sie betraf. Für Vijay war Sex eine Art des Lernens statt eine alles verzehrende Leidenschaft. Sie genoss die Macht, die er ihr verlieh, und sie bewahrte sich die Freiheit, sich auszusuchen, wen, wann und was sie wollte. Natürlich wurde sie verletzt; mehr als einmal. Doch als sie in dem heruntergekommenen Krankenhaus des St.-Kilda-Viertels, wo sie aufgewachsen war, als Notärztin zu arbeiten begann, hielt sie sich für eine erfahrene, weltläufige Frau.
Unglücklicherweise verliebte sie sich bis über beide Ohren in einen älteren Mann, einen verheirateten Arzt. Vijay stellte fest, dass selbst eine weltläufige Frau auf einen kultivierten, wohlhabenden Schuft hereinfallen kann, der überzeugend zu lügen vermag. Als sie der Wahrheit schließlich ins Auge blickte, wusste sie, dass sie von diesem Mann weg musste, weg aus Melbourne und aus Australien überhaupt. Und sie wusste, dass sie sich nie wieder so von der Liebe überwältigen lassen würde.
Ihre Reise nach Kalifornien war zunächst ein Urlaub, eine Zeit, um ihre seelischen Wunden verheilen zu lassen und frische Luft zu schöpfen. Sie blieb fünf Jahre und schlug eine neue Laufbahn in der Raumfahrtmedizin ein. Anfangs bei der amerikanischen NASA, später dann bei der Masterson Aerospace Corporation wurde Vijay Spezialistin für die Auswirkungen geringer Schwerkraft auf den menschlichen Körper und Geist.
Sie verbrachte dreimal neunzig Tage auf Raumstationen und erwog gerade, sich für ein Jahr auf die Mondbasis zu verpflichten, als sie von der zweiten Marsexpedition hörte.
Vijay Shektar bekam den Posten der Expeditionsärztin und – psychologin. Leicht war das nicht. Sie musste ihr Können in der Chirurgie, der Strahlenmedizin und sogar der Notfall-Zahnmedizin unter Beweis stellen. Das Auswahlverfahren war ungemein anspruchsvoll. Aber sie gewann. Obwohl sie sich schwor, dass sie mit keinem der Entscheidungsträger schlafen würde, bekam sie den Posten.
Vijay hatte nämlich gelernt, wie sie ihre Wünsche realisieren konnte. Und sie wusste, wenn sie hart genug arbeitete, all ihre Kraft und ihre Fähigkeiten einsetzte, bekam sie für gewöhnlich, was sie wollte. Das Kunststück war, zu wissen, was sie wollte. Das war das Schwierige.
Sie dachte oft an ihre Schutzgöttin. Liebe und Zerstörung, die beiden untrennbaren Attribute von Sakti. Sie glaubte nicht an die alte Religion, aber sie
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