Rücksichtslos
beobachtete er, wie sich das junge Mädchen weinend auf dem Bett krümmte. Sonnenstrahlen tanzten über ihr Gesicht und die Tränen auf den Wangen glänzten wie Diamanten. Ihre feuerroten lockigen Haare fielen nach vorn als sie das Gesicht im Kissen verbarg. Er beugte sich nach vorn, den Blick noch immer auf die rote Mähne gerichtet. Plötzlich stand die Putzfrau im Zimmer der Rothaarigen, und er lehnte sich wieder zurück.
*
Die Blonde starrte aus braunen Rehaugen zurück. Der Vergleich passte, da sie auch aussah wie ein verschrecktes Reh. Im nächsten Augenblick gestikulierte sie mit einem Putzlappen und einem Badreiniger, die sie in den Händen hielt. Anschließend ging sie zum Waschbecken und begann es zu putzen. Währenddessen blickte sie immer wieder kurz zu Kira. Diese setzte sich im Bett auf und wischte sich die Tränen ab. Sie zog ihre Beine an und beobachtete die fremde junge Frau misstrauisch. Ihre mittelblonden halblangen Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht. Sie machte, trotz ihrer körperlichen Fülle, einen zerbrechlichen Eindruck, so wie sie sich mit vornüber gebeugten Schultern bewegte.
„ Wer sind Sie?“, fragte Kira nach eine Weile. Doch sie erhielt keine Antwort. Nachdem die Blonde das Waschbecken geputzt hatte, widmete sie sich der Toilette. Anschließend ging sie kurz aus dem Zimmer, um mit einem Staubsauger wieder zurückzukommen. Kira blieb die ganze Zeit auf dem Bett sitzen. Lediglich ihre Augen folgten jeder Bewegung der jungen Frau. Nach wenigen Minuten war sie wieder allein, und die Stille kam ihr erdrückend vor. Es war seltsam. Die Fremde war unscheinbar wie eine graue Maus, und trotzdem war ihre Anwesenheit tröstlich. Die Ungewissheit, was mit ihr passieren würde, machte sie verrückt. Mit einem Mal meinte sie, etwas würde ihr die Kehle zuschnüren, und ihr blieb die Luft weg. Gleichzeitig verspürte sie wieder ein Brennen und einen Druck in der Brust, was ihr das Einatmen zusätzlich erschwerte. Ihre Augen füllten sich schon wieder mit Tränen, und sie sprang vom Bett. Im ersten Augenblick torkelte sie, und ihr wurde kurz schwarz vor Augen, da sie zu schnell aufgestanden war. Sie schaffte es gerade noch, ohne zu stürzen, bis zu der Terrassentür im hinteren Bereich des Zimmers. Dort angekommen lehnte sie sich mit Stirn und Nase gegen das kalte Glas. Ihr Atem kondensierte als feiner Schleier. Beide Handflächen presste sie ebenfalls an die durchsichtige Tür. Mittler weile funktionierte ihre Gehirndurchblutung wieder und sie sah klarer, wenn man von dem Tränenschleier absah.
Sie musste sich beruhigen, sonst lief sie Gefahr , komplett durch zu drehen! Und damit würde sie dem Kind und sich schaden. Beruhigen! Ganz langsam tief ein und ausatmen. Kira versuchte, sich selbst Mut zuzusprechen, was überhaupt nicht einfach war. Sie zwang sich zur Ruhe. Ihr Blick war dabei die ganze Zeit nach draußen gerichtet. Auf der anderen Seite der Tür befand sich ein kleiner Garten, der ringsum mit circa zwei Meter hohen Mauern umzäunt war. Er war genauso breit wie ihr Zimmer, aber ungefähr doppelt so lang. Über Nacht hatte es geschneit. Das kurze Gras lag unter einer wenige Zentimeter hohen Schneedecke versteckt. Direkt vor den Mauern waren einige kurze Sträucher und Büsche gepflanzt worden. Kiras Blick wanderte an der Glastür entlang. Die Tür besaß einen abschließbaren Fenstergriff. Sie wagte nicht, danach zu greifen, um auszuprobieren, ob die Tür abgeschlossen war. Vergangenen Abend hatte sie die kleine Kamera bemerkt, die über der Kloschüssel unter der Decke befestigt war. Dieser Gedanke reichte aus, um ihr sofort wieder die Brust zuzuschnüren. Erneut zwang sie sich, ruhig Luft zu holen. Ihr Blick war währenddessen auf die gegenüber liegende Steinmauer gerichtet. Wenn sie es schaffte, in diesen Garten zu kommen, schaffte sie es vielleicht auch, drüberzuklettern, und auf diesem Wege zu entkommen.
*
Karl saß noch immer gebannt vor den Monitoren und fragte sich, was die Rothaarige tat. Seit fast einer halben Stunde stand sie schon da, den Rücken zur Kamera gewandt, und presste ihren Kopf und die Hände gegen die Scheibe. Mit einem Mal drehte sie sich um, und er zuckte zusammen, da er beinahe ebenso regungslos auf seinem Stuhl gesessen und mit dieser schnellen Bewegung nicht gerechnet hatte. Während sie ihre Stellung änderte, fiel ihr Blick für den Bruchteil einer Sekunde genau in die Kamera und traf ihn wie einen Hammerschlag. Karl fühlte sich,
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