Rücksichtslos
wenigen, die Katharina auf Anhieb völlig unsympathisch waren. Während die Dicke sie noch beäugte, zog Katharina mit klammen Fingern und ihrem letzten Gedulds faden den Dienstausweis aus der Innentasche der Jacke.
„ Scheint okay zu sein. Was wollen Sie wissen?“ Mittlerweile sprach die Frau nur noch aus einem Türspalt heraus, da auch sie einige kalte Böen abbekommen hatte.
„ Sind Sie Frau Zurrer, Hebamme Frauke Zurrer?“, fragte Thomas mit seiner angenehmen tiefen Stimme.
Mit einem kurzen Blickwechsel hatte er sich mit Katharina darauf geeinigt, dass er die Befragung übernehmen würde. Die Frau nickte kaum merklich und Thomas bat sie darum, eintreten zu dürfen. Doch erst, nachdem er die Frage höflich wiederholt hatte, öffnete sie widerstrebend die Tür. Katharina ließ sie nicht aus den Augen, während sie in den Hausflur trat. Mit Vergnügen würde sie bei dieser Befragung den bösen Bullen spielen. Allein ihr scharfer Blick genügte, um die Frau zusammenzucken zu lassen. Ihr Mobiltelefon klingelte. Es war Philipp, wie sie mit einem kurzen prüfenden Blick sah. Leider zum völlig falschen Zeitpunkt. Also drückte sie ihn weg.
Weiter als in den Flur durften sie nicht gehen. Thomas erzählte in wenigen Sätzen ihre Geschichte, warum sie nach der Identität zweier Frauen suchten. Auch hier erklärten sie nicht, dass die beiden tot waren. In der Düsternis des Flurs verschwammen die dunkelblonden Haare der Hebamme mit der Holztreppe im Hintergrund. Es roch muffig. Aber wenigs tens war es hier etwas wärmer und vor allem windstill. Thomas zeigte ihr die Bilder der ermordeten Frauen. Katharina trat einige Zentimeter vor, um die Mimik von Frauke Zurrer besser beobachten zu können. Diese atmete schnell durch die Nase ein, als sie einen Blick auf die Fotos warf. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte Erkennen und Erschrecken in ihren Augen auf. Doch einen Augenblick später schüttelte sie schnell den Kopf. Hätte Katharina nicht so genau hingesehen, wäre es ihr gar nicht aufgefallen.
„ Ich kenne keine dieser Frauen“, erwiderte Zurrer hastig.
„ Sind Sie sicher?“, fragte Katharina spitz.
„ Nun. Ähm. Ich kann mich natürlich nicht an jede Frau, die ich gesehen habe, erinnern. A… aber i… ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diese zwei hier nicht kenne.“
„ Das glaube ich Ihnen nicht.“, antwortete Katharina gereizt. Sie fror, ihre Nase lief und diese Hebamme nervte sie mehr, als es lange Zeit irgendjemand getan hatte. Dass zu so einer verlotterten Person überhaupt irgendeine Schwangere ging, konnte sie nicht verstehen. Der alleinige Anblick dieser ungepflegten Frau in ihrem zu engen Pullover reichte aus, um sie auf die Palme zu bringen.
„ Meine Kollegin ist heute etwas mürrisch, entschuldigen Sie bitte“, wandte Thomas besänftigend ein.
Gleichzeitig warf er Katharina einen scharfen Blick zu, der bedeutete, dass sie ihren Mund halten sollte. Sie zuckte zusammen und fragte sich, was denn nur mit ihr los war. Dass sie sich bei einer Befragung nicht beherrschen konnte, war ihr schon lange nicht mehr passiert. Wie im Nebel hörte sie, wie Thomas weiter mit sanfter Stimme auf die Hebamme einredete.
„ Schon gut! Ich hab ’s ja kapiert!“, erwiderte diese. „Aber ich weiß es wirklich nicht, wer die Frauen sind. Ehrlich.“
Thomas schaute sie fragend an. „Aber sie haben sie schon einmal gesehen?“
„ Nein. Das heißt doch. Eine von den beiden.“ Sie deutete zögerlich auf das Bild der dunkelhaarigen jungen Frau, die an der Schleuse gefunden wurde.
„ Wo?“
„ Sie kam zu mir. Hatte gerade gemerkt, dass sie ungewollt schwanger geworden ist. Das junge Ding. Scheinbar hatte sie niemanden, der ihr helfen konnte.“
„ Und was taten Sie?“
„ Ich hab sie untersucht und ihr dann geraten, sich an ein Frauenhaus zu wenden.“
In Katharinas Gehirn arbeitete es, soweit bei ihrem Schnupfen möglich, sofort auf Hochtouren. „An welches?“
„ An kein spezielles. Ich glaube, ich habe ihr ein oder zwei Adressen genannt. Aber ich kann mich nicht genau erinnern.“
„Na, Sie haben doch bestimmt ein oder zwei Häuser, an die sie die betreffenden Frauen bevorzugt weiterschicken. Oder etwa nicht?“
„Wenn Sie es so genau wissen wollen … “
„Ja. Das wollen wir . “
„Also, meistens schicke ich die Frauen nach Sachsenhausen-Nord.“
„Können Sie uns auch die Adresse geben?“, fragte Thomas in höflichem Ton nach. Die Hebamme nickte und schrieb sie in
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