Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
aller Ruhe schießen und sie einsammeln konnte. Für uns Normalsterbliche war das anders, wir mussten uns für jeden Meter Fortschritt durch festen Fels graben. Während diese unkonstruktiven Gedanken an mir nagten, versagte mir mein Körper die Tennisfähigkeiten, um gehorsam meinen Standpunkt zu illustrieren. Die Bälle rutschten mir vom Schläger ins Netz oder spritzten bis weit über die Grundlinie. Richard spielte in Vollkommenheit die Rolle des überraschten Seriensiegers und schaute den verzogenen Schüssen respektvoll nach, als hätte selbst der jämmerlichste von ihnen sein Ziel nur um Haaresbreite verfehlt. Seine Höflichkeit und meine Inkompetenz fielen wie Säuretropfen in die selbstverschuldete Wunde meiner Wut.
Als ich mich schließlich geschlagen gab und mit vor Schweiß klebendem Hemd vom Platz stapfte, gab Richard freundliche Plattitüden von sich (»Hab gar nicht so richtig mitbekommen, wer gewonnen hat – Hauptsache, wir haben uns mal wieder gesehen.«), und ich war äußerst schlechter Laune. Dann passierte wohl das Einzige, was die Situation noch weiter verschärfen konnte. Als hätte ein Dramatiker die Szene geschrieben, um die Verblendung des Helden zu symbolisieren, bog Webster um die Ecke. Er war mitten in einem heftigen Streit, doch er war allein. Seine Schreie und Gegenbehauptungen wurden einem unsichtbaren Widersacher entgegengeschleudert, ehe sie in verlegenem Schweigen verhallten. Und niemand auf dem gesamten Campus oder vielleicht sogar in ganz Florida hätte in diesem Moment verlegener sein können als ich.
Natürlich hatte Webster in diesem Augenblick jede Vernunft hinter sich gelassen, aber das galt in meiner eigenen, abgeschwächten und jämmerlichen Weise auch für mich, und die beiden Miseren stießen zusammen und bildeten gemeinsam etwas Großes, Groteskes. Während er gegen unsichbare Feinde wetterte, die ihn »zerreißen« oder »verscheißern« wollten – wen er meinte, war nicht zu erkennen –, versuchte ich es mit beruhigenden Floskeln, die so lahm waren wie vorhin meine Tennisschläge. Als sie nichts fruchteten, packte ich ihn an den Schultern, wie um durch die körperliche Stütze die bösen Geister in seinem Kopf zu beschwichtigen und sie davon abzuhalten, ihn schnatternd in einen Käfig des Wahnsinns zu stoßen. Er entwand sich meinem Griff, und ich fasste erneut nach ihm, während ich ständig seinen Namen wiederholte.
»Was ist denn, was ist denn los?«, rief ich, und Webster brüllte zurück: »Ich traue Ihnen nicht, Sie sind genau wie Streissman, ich traue Ihnen nicht.« Richard beobachtete unsere erbärmliche Vorstellung aus diskretem Abstand. Schließlich wurde aus den pantomimischen Mätzchen Ernst; bei meinem dritten oder vierten Versuch, nach Webster zu fassen, schoss sein Arm schützend hoch und traf mich an der Nase – nicht fest, aber doch so plötzlich, dass ein paar Äderchen platzten. Richard näherte sich unaufdringlich und hielt mir mit einem aufrichtig mitfühlenden Lächeln ein weißes Tennishandtuch hin. Ich nahm es mit einem knappen Nicken, um mir mit der vernichteten Würde eines Kindes, das sich bei seiner Geburtstagsparty mit seinem eigenen Erbrochenen besudelt hat, die roten Tropfen vom Hemd zu tupfen.
Danach beruhigte sich Webster allmählich und sprach wieder zusammenhängender. Nach und nach brachte ich ihn so weit, dass er nur noch ein unterwürfiges Wimmern von sich gab, und eskortierte ihn mit Richards Hilfe zu meinem Büro. Es war sechs Uhr, und in siebenundzwanzig Stunden musste er das mit Abstand wichtigste Rennen seines Lebens bestreiten. Zwar stand er unter meiner sogenannten Obhut, doch er war in einem Zustand, dass man ihn nicht einmal zum Sackhüpfen im Kindergarten hätte anmelden können. Schließlich entschuldigte sich Richard und verschwand mit der Bemerkung, dass wir uns sicher beim morgigen Tennisfinale sehen würden. Das auch noch, dachte ich. Grollend brütete ich vor mich hin, und es wurde sogar noch schlimmer, als Webster allmählich seine Beherrschung wiederfand.
»Ich weiß nicht mehr, was ich gemacht habe«, wiederholte er mehrfach. »Ich wollte nur auf Sie losgehen.« Reuig ließ er den Kopf hängen, aber mein Stolz verlangte mehr. Nachdem ich so viel Zeit, Kraft und, ja, Liebe in Webster gesteckt hatte, fühlte ich mich von ihm behandelt wie der letzte Dreck. Ich hatte die Reise nach Florida auf mich genommen und überhaupt so viel für Webster getan, und jetzt verhöhnte er mich mit seinem Verhalten.
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