Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
mechanische Lockerungsübungen an der Linie, ehe er sich wie ein sprungbereiter Panther duckte. Der Schuss fiel und wurde kurz darauf wiederholt: Fehlstart. Nach einigen Diskussionen wurde mit zeremonieller Bedächtigkeit eine rote Markierung an Websters Block befestigt. Noch so ein verfrühter Satz, und er wurde disqualifiziert. Niemand wagte zu atmen, als es wieder knallte. Doch diesmal war es ein sauberer Start. Dann die gleiche mühelose Abfolge: Webster ließ sich Zeit, ehe er die Beine streckte und sich wie eine Rakete von der Meute entfernte; im Ziel blickte er sich nicht einmal um. Sein Abstand war so groß, dass sein schnellster Verfolger noch zehn Meter in vollem Tempo dahinjagen musste, bis er Webster gratulieren konnte. Diesmal bekam Webster großzügigen Beifall von der Menge – selbst Macguire nahm die Baseballmütze ab und schwenkte sie sanft durch die Luft –, und als er eine schnelle Ehrenrunde drehte, um die Ovationen zu genießen, spürte ich den trotzigen Stolz wie einen Stich: Hast du das gesehen, Richard? Fast hätte ich die Frage laut hinausgerufen.
Er hatte es nicht gesehen, wie ich am folgenden Nachmittag auf dem Tennisplatz erfuhr, doch er hatte Websters Fortschritte verfolgt wie alle anderen und interessierte sich sehr für meine Arbeit mit ihm. Nachdem wir kurz das Tennisturnier gestreift hatten – Richard, so stellte sich heraus, betreute Lola schon seit einem Jahr, um ihr Selbstvertrauen zu stärken; sie hatte in dieser Zeit sieben Titel und fünfundneunzigtausend Dollar Preisgelder eingeheimst –, kamen wir bald auf meinen Hauptklienten zu sprechen, der inzwischen einer der meistbeachteten Athleten der gesamten Veranstaltung war. Jedenfalls ließ Richard eine dahingehende Bemerkung fallen, und ein wenig beklommen erkannte ich, dass er recht hatte. Während wir auf einem wunderbar gepflegten Platz brandneue Tennisbälle hin und her klopften, fragte mich Richard, wie es mir gelungen war, so eine gefährliche Störung wie Schizophrenie zu behandeln, ohne Webster aus dem Wettbewerb zu nehmen.
»Er hatte eine mehrmonatige Wettkampfpause.« Ich drehte den Schläger für einen Topspin, der Richard mit seinem unerwarteten Aufprall überlistete und an ihm vorbeizischte: ein Schlag, gegen den meiner Meinung nach kein Spieler auf der ganzen Welt eine Chance gehabt hätte. »Ich habe ihm –– 22 und ein weiteres Neuroleptikum gegeben, und sein Zustand wurde schnell besser.«
»Und dann …?« Richard machte eine Pause und nahm einen tiefen Schluck aus einer Flasche Wasser. Mit stiller Zufriedenheit bemerkte ich, dass seine Fitness bereits unter der Ehe gelitten hatte.
»Dann hat er es abgesetzt«, antwortete ich.
»Er hat es abgesetzt?«
»Ja.« Ich bemühte mich um einen beiläufigen Ton und griff nach einer Handvoll Bälle für den Aufschlag im nächsten Spiel, doch in meinem Magen machte sich Übelkeit breit. Richard überlegte, ob er seine Bedenken äußern oder für sich behalten sollte. Wie immer gereizt von seiner Mischung aus schneller Analyse und Besonnenheit, versuchte ich ihm zuvorzukommen. »Ich weiß, normalerweise nimmt man so was mindestens ein halbes Jahr, aber er ist völlig …«
»Das ist gefährlich, Pete.« Mit souveräner Geste retournierte Richard meinen Aufschlag und kratzte sich am Kopf, um sich etwas ins Gedächtnis zu rufen, das ich gar nicht hören wollte. »War da nicht dieser Typ, der …«
»Er ist völlig stabil«, unterbrach ich ihn.
Offenbar erinnerte sich Richard sehr genau daran, wie ich gestern einem alles andere als stabil wirkenden Webster über den Parkplatz nachgelaufen war. Doch er sparte sich jeden Kommentar; sein Schweigen sagte mehr als Worte. Wieder fing ich an, mich zu verteidigen, doch die Argumente verpufften in der abgestandenen Luft.
Wir setzten das Spiel fort. Langsam gewann Richard die Oberhand, und es kehrte wieder Höflichkeit ein. Doch in mir kochte die selbstgerechte Wut eines Mannes, dessen Verfehlung aufgedeckt worden ist. Was wusste Richard schon über Webster? Für ihn war es leicht, die lehrbuchhafte Einhaltung von Zeiträumen für eine Medikamentenbehandlung zu fordern; aber ich war derjenige, der Websters Gesundheit gegen seinen Ehrgeiz und den Wunsch abwägen musste, sein riesiges Potenzial auszuschöpfen, ehe sich das Rampenlicht einem anderen Newcomer zuwandte. Davon hatte Richard keine Ahnung. Bei ihm hatten sich die Erfolge immer in geordneten Abständen eingestellt wie Preise auf einem Fließband, sodass er in
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