Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
eine von diesen Zahnstocherfiguren aus der Werbung. Okay, super. Wenn das schön sein soll, von mir aus. Aber ist sie deswegen auch die bessere Tennisspielerin? Oder umgekehrt, bist du deswegen eine schlechtere Tennisspielerin?«
Sie zögerte.
»Die Tatsache, dass Lola all diese erstaunlichen Eigenschaften hat – macht dich das irgendwie schlechter?« Inzwischen hatte ich meine Stimme gesenkt und benahm mich wieder mehr wie ein Erwachsener.
Kirsty sann kurz nach. »Irgendwie schon, ich muss mich doch vergleichen mit …«
»Hör zu, Kirsty.« Mein verschwörerischer, fast bittender Ton ließ sie so schnell verstummen, als hätte ich das Radio ausgeschaltet. Sie schien wie gebannt von meinem ständigen Ausdruckswechsel und hörte mir aufmerksam zu. »Wenn du morgen gewinnen willst – und selbst wenn nicht –, musst du immer an eines denken. Der Vergleich mit anderen Leuten mag unvermeidlich sein, vor allem in deiner Sportart, trotzdem gibt es kaum was Schlechteres. Sicher, du wirst jetzt sagen, alle vergleichen mich mit ihr, schon allein weil wir gegeneinander spielen.« Im Geiste versetzte ich mir einen anerkennenden Klaps, weil Kirsty nickte und ich damit ihre Zustimmung gewonnen hatte wie ein Meisterredner, noch bevor ich zum Hauptargument vorgedrungen war. »Schön und gut. Das ist allerdings ein Vergleich, den dir andere Leute aufzwingen, und dagegen kannst du nichts machen. Aber sobald du anfängst, selbst Vergleiche zu ziehen, bist du verloren. Und soll ich dir verraten, woher ich das so genau weiß?«
Ich holte zu einer rhetorischen Geste aus, aber mein Büro bot nicht den geeigneten Rahmen dafür; beispielsweise fehlte ein Bild von Richard, auf das ich hätte deuten können. Also ließ ich die Hände schweben, wie um ihr den päpstlichen Segen zu erteilen, und beantwortete meine eigene Frage: »Weil ich es mein gottverdammtes Leben lang so gemacht habe. Trotz aller Erfolge und Errungenschaften – bestimmte Menschen geben mir immer das Gefühl, dass meine Leistungen völlig wertlos sind. Und obwohl ich diese Lektion schon zigmal gelernt habe: Wenn es wirklich darauf ankommt, habe ich es wieder vergessen und lande auf der Nase. Aber vielleicht kriegst du es besser hin, Kirsty. Wenn ja, kannst du es weit bringen. Niemand sollte sich für unterlegen oder minderwertig halten. Und es ist nie zu spät, um damit aufzuhören. Ich werde es versuchen, und du solltest es auch versuchen.«
Meine Leidenschaft war verraucht, und bei den letzten Worten fand ich zu einem beherrschteren Ton zurück. In diesem Augenblick trat ein Raumpfleger ein, um mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen den Papierkorb zu leeren, und mir wurde klar, dass ich zu offen und sicherlich zu lebhaft gesprochen hatte: Jeder zufällig Vorüberkommende hätte meine Tirade hören können. Doch zum ersten Mal an diesem Tag fühlte ich mich ein wenig wohler in meiner Haut. Ich hatte mir etwas Wichtiges von der Seele geredet, und vor allem schien Kirsty beeindruckt. Knapp sechzehn Jahre Ehrgeiz und Erfolg blickten respektvoll auf zu vierzig Jahren Ehrgeiz und Misserfolg. Ich war kein beliebiger, behaglich distanzierter Psychiater, der sich »voll hinter sie stellte«, bevor er sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte; dennoch hatte ich gerade noch die Grenze gewahrt zwischen geschickt eingeflochtener persönlicher Note und rührseliger Mach-es-nicht-wie-ich-Anekdote. Ich spürte fast körperlich, wie die Worte in Kirstys Bewusstsein eindrangen und zu wirken begannen wie Antikörper.
Sorgfältig darauf bedacht, nicht zu dick aufzutragen, bat ich Kirsty, mir ihre Vorbereitung auf das morgige Match zu schildern. Zusammen entwarfen wir einen Zeitplan, der es ihr gestattete, sich ab dem Morgen auf das Spiel am Nachmittag zu konzentrieren, ohne sich wie in der Vergangenheit muskulär und geistig zu verkrampfen. Ich empfahl ihr, überhaupt nicht an ihre Gegnerin zu denken, und wenn es doch passierte, sie auf keinen Fall zu glorifizieren. Nimm Lolas Probleme in den Blick, so mein Rat, und besinne dich auf deine eigenen Stärken. Selbst wenn Lola das morgige Finale und alle anderen Juniorenpokale gewinnt, ist der Wechsel zu den Profis so, als würde ein Goldfisch in einen reißenden Fluss geworfen, und ihr glamouröses Image wird nur dafür sorgen, dass ihr die berüchtigte Rivalität im Damentennis umso heftiger entgegenschlägt. »Und ganz im Vertrauen, ich habe mich heute mit Richard Aloisi über Lola unterhalten.« Mit dieser Lüge wollte ich
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