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Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Titel: Rückwärtsleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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Ayer nicht nur ein obsessives Verlangen nach Patsys Gesellschaft entwickelt, sondern auch die Illusion, dass seine Liebe erwidert wurde. Angefacht wurde diese Illusion durch Briefe, die er von ihr erhalten, und durch verschlüsselte Botschaften, die er in ihren Songs entdeckt haben wollte. Obwohl sich Patsy nach ihrer Darstellung mit ihm nie über etwas anderes unterhalten hatte als die Post, erblühte Neils Fantasie rasch zu einer verstörenden Anhänglichkeit. Inzwischen schrieb er ihr regelmäßig Briefe, und zu ihrem Geburtstag in der vergangenen Woche war er mit einer Flasche Parfüm in der Form einer weiblichen Figur und einer Glückwunschkarte aufgetaucht, die fast so groß war wie Patsy. Steven tobte beim Anblick eines Geschenks, das teurer war als seines, und es kam zu einem kleinen Gerangel zwischen den beiden Männern, das potenzielle ernstere Probleme ankündigte. Steven erwärmte sich für die Rolle des gekränkten Ehemanns, Neil für die des romantischen Märtyrers. Patsy wurde es zwischen den beiden allmählich ungemütlich, und so wandte sie sich an mich um Rat.
    »Ich habe gehört, dass Sie gut sind«, bemerkte Patsy einnehmend und genau passend, denn ich hatte sie durch meine zweifelnde Miene unbewusst zu einer Schmeichelei aufgefordert. »Eine Freundin hat Sie empfohlen. Sie sagt, Sie wissen alles über Obsessionen und Wahnvorstellungen und solche Sachen. Ich dachte, vielleicht könnten Sie mit Neil reden.«
    Ich spielte weiter den Advocatus Diaboli. »Für mich klingt das eher nach einem Fall für die Polizei …«
    »Die Polizei möchte ich nicht einschalten«, erwiderte Patsy sofort. »Das ist schlechte Publicity, Steven würde sich noch mehr aufregen, und außerdem ist ja nichts passiert. Eigentlich alles ziemlich albern, aber gleichzeitig …« Sie reichte mir eine Mitteilung, die Neil ihr geschrieben hatte, und als Verständnishilfe das Textblatt aus ihrer LP .
    Schon ein flüchtiger Blick reichte, um in der Detailverliebtheit die Spuren von Obsession zu erkennen: die peinlich genaue Handschrift, die regelmäßigen Abstände und die gleiche Höhe der Buchstaben wirkten wie die Kopie einer Schultafel. Doch statt sie zu dämpfen, brachte die förmliche Präsentation Neils Leidenschaft nur umso stärker zur Geltung.
    Liebste Patsy,
    Du sollst wissen, dass ich verstehe, worauf Du mit Deinem Song »Nothing Means Anything« hinauswillst, und es tut mir wirklich sehr leid, dass Du so viel für mich durchmachen musstest. Ich arbeite an einer Lösung, ich brauche nur noch ein wenig Zeit. Ich hole Dich da raus, und wir werden zusammen neu anfangen können, ohne dass Dir was fehlt. Ich möchte Dir sagen, wie viel es mir bedeutet hat, Deinen Brief zu bekommen, so wie alle Deine Briefe. Ich hoffe, meiner kann Dich ein bisschen trösten. Bald wird alles leichter für uns.
    Für immer
    Dein Neil 7
    Die Vorstellung, dass Neil an einer Lösung arbeitete, fand Patsy beunruhigend. Was ihm da genau vorschwebte, wusste bisher noch niemand. Vielleicht brauchte es, so Patsy, nur ein wenig fachliche Hilfe, um ihn von seinem Wahn zu kurieren und ihn zu produktiveren Aktivitäten anzuregen.
    So einer Aufgabe konnte ich schwer widerstehen, doch das war erst die halbe Miete: Konnte ich überhaupt damit rechnen, dass der Postmann bereit war, mit mir zu reden, wenn ich die Sache übernahm?
    »Na ja, er sagt, er würde alles für mich tun.« Patsy zeigte ein strahlendes Lächeln. »Aber vielleicht sollten Sie erst mal meinen Mann kennenlernen.«
    »Der Typ ist total plemplem, ganz einfach«, erklärte Steven Rowlands bei unserer ersten Begegnung, die mit einem unbeholfenen Händeschütteln begann, bei dem er jeden Blickkontakt vermied. An der schweißfeuchten Hand, die meine umklammerte, waren die Nägel fast völlig abgebissen. Aus dieser giftigen Bemerkung, mit der er Patsys um Sachlichkeit bemühte Darstellung der Ereignisse unterstrich, ging hervor, dass er mich als eine Art Kammerjäger betrachtete, der engagiert worden war, um die Bedrohung seines Friedens zu vernichten und dann wieder zu verschwinden. Er war ein permanent nervöser Mensch, leicht erregbar, aber langsam in den Bewegungen, mit einem großen, kindlichen Mund und Augen, die sich verengten, sobald ich eine Frage an Patsy stellte, bei der er sich ausgeschlossen fühlte. Der bloße Gedanke, dass Patsy in Gesellschaft eines anderen Mannes war, war ihm unerträglich: Über sein Gesicht huschte Eifersucht, als sie erwähnte, dass sie mit Neil geredet hatte,

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