Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
hatte sich inzwischen zu einer regelrechten Soloromanze ausgewachsen. Wenigstens einem der Beteiligten stand ein schmerzlicher Bruch bevor.
Nachdem ich mich für nächste Woche wieder mit Neil verabredet hatte – erneut ganz zwanglos –, fuhr ich am Plattenladen KeyNotes vorbei (der mit der exzentrischen Schreibweise des Namens seiner Zeit voraus war) und kaufte der Über-dreißig-Regel zum Trotz ein Exemplar von Patsys Album. Meine Strecke führte mich ungefähr in die Richtung ihres Hauses, und ich entschied mich, vielleicht angeregt durch ihr Bild auf dem Plattencover, spontan zu einem Besuch. Doch es war Steven, der mir auf der Schwelle entgegentrat. Er war allein zu Hause und so nervös wie immer.
»Ich wollte bloß kurz vorbeischauen, um Ihnen zu sagen, dass ich mit Neil geredet habe«, erklärte ich.
»Nun …« Steven wirkte nachdenklich, als wäre er mit einem schwierigen Wunsch konfrontiert worden; dann fiel ihm anscheinend etwas anderes ein, und er winkte mich hinein. »Ich wollte Sie sowieso anrufen und um einen Gefallen bitten.« Mit dem mechanischen Geschick des langjährig Süchtigen fing er an, Kaffee zu machen. Als wir tranken, entspannte er sich ein wenig – zum ersten Mal in meiner Gesellschaft –, doch er blieb fast schon feindselig zugeknöpft. Zwei Smalltalkversuche von meiner Seite verliefen im Sand, ehe er auf sein Anliegen zu sprechen kam. Er musste zu einer dreitägigen Geschäftsreise nach New England, und Patsy konnte ihn nicht begleiten, weil sie am Dienstag ein Konzert hatte.
»Würde es Ihnen was ausmachen … Ich meine, Sie sollen nicht den Leibwächter spielen, aber … äh …«
»Sie wollen, dass ich Patsy im Auge behalte?«
»Genau.« Steven schien ebenso dankbar wie ich, dass das Ratespiel vorbei war. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er … Aber sie fühlt sich bestimmt sicherer … und ich mich auch, ehrlich gesagt.« Die Pausen zwischen seinen Satzfragmenten zogen sich in die Länge.
Ich fragte mich, wie Steven es schaffte, Plattenverträge auszuhandeln.
Nachdem ich meine Zustimmung gegeben hatte, taute er weiter auf, und wir redeten mit einer Offenheit über seine Frau, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Das ehrfürchtige Murmeln, mit dem er ihren Namen aussprach, war das erste Zeichen seiner Zuneigung, die immer deutlicher zum Ausdruck kam, als er sich sichtlich dankbar über »die Liebe meines Lebens« verbreitete, ein Thema, das wohl in jeder Biografie zu Fehlstarts und Ängsten führt.
Als unbeholfenes, kurzsichtiges und legasthenisches Kind hatte Steven in der Schule ziemlich zu kämpfen gehabt. Er lernte Gitarre in der Hoffnung, sein von einem ungeduldigen, tyrannischen Vater angeschlagenes Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Doch er stellte (in einer grausamen Parodie auf die übliche Wunderkindgeschichte) fest, dass Musik, die einzige Sache, die ihn wirklich begeisterte, zugleich etwas war, wofür er nicht die geringste Begabung besaß. Nach erfolglosen Versuchen, verschiedene verstimmte Instrumente zu meistern, schlich er sich auf einem anderen, leichteren Weg – »durch die Hintertür«, wie er es nannte – ins Musikgeschäft und fand eine Stelle bei Kookaburra Music. Die Arbeit lag ihm, weil er in den Jahren mit einsamen Musikabenden, zu denen er sich nach elterlichen Tiraden auf sein Zimmer verkrochen hatte, ein gutes Ohr für Qualität entwickelt hatte. Dank seiner Beharrlichkeit vollzog er einen allmählichen Aufstieg im Unternehmen, bis er seine aktuelle Aufgabe als Talentsucher erhielt. Zu seinen wichtigsten beruflichen Zuständigkeiten gehörte die Entdeckung unausgebildeter Talente wie der Sängerin, die seine Frau geworden war. »Dass ich Patsy gefunden habe, war das Beste, was mir je passiert ist – nicht nur in einer Hinsicht«, war sein Fazit.
Doch die Zeit vor ihrer ersten Veröffentlichung hatte ihn stark unter Druck gesetzt. Wie immer bei einem unerprobten Künstler, für den er sich engagiert hatte, stand auch sein Ruf auf dem Spiel, und diesmal noch mehr, weil Kollegen seine Neutralität in Zweifel zogen. Einer dieser Zyniker machte ihn so wütend, dass er ihn während eines Konzerts auf der Toilette niederschlug und ihn blutend zurückließ. »Er hat so laut geschrien, dass sie ihn rausschmeißen mussten, weil er die Band übertönt hat«, berichtete Steven voller schuldbewusstem Stolz. Als das Album allseits gelobt wurde, konnte er sich endlich entspannen, doch bald darauf wurde sein Frieden schon wieder gestört durch
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