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Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Titel: Rückwärtsleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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mir einspielen und es als Bonustrack in ihr nächstes Album aufnehmen. Oder sie konnte mir ein neues Stück widmen mit dem Titel »You Were There« oder vielleicht einfach nur »Peter«, wenn sie sich für eine persönlichere Note entschied (natürlich lag das ganz bei ihr). Vielleicht gestand sie mir schöpferische Probleme – das zweite Album war immer das Schwierigste, wie ich gehört hatte – und bat mich um Hilfe beim Schreiben neuer Stücke. Ich würde den Spitznamen der »singende Seelenklempner« bekommen und in Talkshows und Dokumentarfilmen über Leute auftreten, die nicht nur auf einem Gebiet brillierten.
    Mit einiger Mühe riss ich mich aus dieser Fantasiespirale. Mir wurde klar, dass es keine absolut sichere Methode gab, um das Fortschreiten von Neils Obsession einzuschätzen. Es war nicht abzusehen, ob er auftauchen würde, sobald Patsy allein war. Meine zwei Augen reichten nicht, um rund um die Uhr über sie zu wachen. Manche Dinge musste man der Wachsamkeit der Götter überlassen. Doch ich war mir nicht sicher, ob ich ihnen trauen konnte.
    Bei meinen ersten Besuchen war mir nichts aufgefallen, doch in der stillen Abenddämmerung des nächsten Tages erschien mir Patsys und Stevens modernes Haus ein verheißungsvoller Ort für einen engagierten Schnüffler zu sein. Es lag an einem Fußweg, der von einer laubreichen, abgelegenen Seitenstraße abzweigte; man konnte es von allen Seiten beobachten und sich unbemerkt nähern. Als ich den Motor abstellte, wurde sein Stottern von beunruhigender Stille verdrängt, und ich blickte um mich, als könnte Neil jederzeit hinter einem Leitungsmast hervorstürzen, um seine Stalkerrechte zu verteidigen. Aus dem Haus kam offenbar leise Musik wie Vogelgesang. Ich wartete, unsicher, ob meine Fantasie oder meine Sinne diese Daten lieferten, dann stieg ich aus und lauschte angestrengt, um schließlich die Umrisse heranwehender Töne zu erfassen. Mein Finger zögerte über der Klingel, die, nachdem sie gedrückt worden war, laut und scharf schrillte wie ein Wecker. Ich zuckte zusammen – irgendwie hatte ich etwas Harmonischeres erwartet. Doch der Gesang veränderte sich so wenig, als wäre es eine Aufnahme. Erst nach wiederholtem Klingeln, das sich immer mehr wie eine ungebetene Störung anfühlte, öffnete sich die Tür, und Patsy trat mir entgegen. Weil eines ihrer Augen ein wenig träge wirkte, hatte ich den merkwürdigen Eindruck, dass ihr verlegenes Willkommenslächeln jemandem direkt hinter mir galt. Dann aber streckte sie die Hände aus, und wir umarmten uns wie alte Freunde.
    Was Körperkontakt anging, besaß sie eine Großzügigkeit, die in deutlichem Gegensatz zu Stevens Berührungsscheu stand. Als sie mich mädchenhaft an der Hand fasste und hinauf in ihr Studio zog, musste ich grinsen bei dem Gedanken, was Steven wohl zu unserer scheinbaren Vertrautheit gesagt hätte. Das Grinsen verblasste zu einer Grimasse der Sympathie eines unbeholfenen Mannes für den anderen, als ich mir die beiden bei einer Feier zur Veröffentlichung einer LP oder einer Preisverleihung vorstellte: Patsy ein Magnet für ölige Bewunderer, wie sie die Schmeicheleien mit einer Anmut entgegennahm, die leicht mit Koketterie zu verwechseln war; Steven, der kein Wort hervorbrachte und an einem Tischtuch nestelnd das Ende herbeisehnte. Es gab nichts Berechnendes an Patsys Charme. Wenn beim Entkorken einer Flasche Wein kurz ihre kleinen Brüste aufblitzten oder wenn ihre Augen bei meinen nicht besonders tiefschürfenden einleitenden Worten verständnisvoll funkelten, so sprach dies (meiner Meinung nach) für eine liebenswert naive Einschätzung ihrer eigenen Anziehungskraft. Doch so bezaubernd diese Unbefangenheit auch war, sie brachte auch Gefahren mit sich. Ich fragte mich, welche geistigen Schätze sie Neil bei den ersten Gesprächen mit ihm überlassen hatte, welche leuchtenden, aber für sie ganz normalen Zeichen des Wohlwollens er in ein aus ihren Texten hervorbrechendes Feuerwerk der Leidenschaft übersetzt hatte.
    »Ich versinke ganz in meiner eigenen Welt, wenn ich spiele, als wäre ich wieder ein Kind«, bemerkte sie, um sich für mein langes Warten an der Tür und das Durcheinander in ihrem Studio zu entschuldigen. Ich ließ mich auf einem Holzhocker nieder, und Patsy machte es sich auf einem Sitzsack bequem. Der fensterlose Raum wirkte wie ein Museum, in dem die Erinnerungen der Jugend festgehalten waren. Das Studio wurde zwar von Aufnahmegeräten beherrscht, doch die wenigen

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