Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
Scheiterhaufen überantwortet wurden, da sie als Hexen sowie der Teufelsbeschwörung und Zauberey zum Zwecke der Stärkung des Teufels im Orte überführet wurden«. 18 Dennoch war der Zusammenhang aufschlussreich. Außerdem erfuhr ich durch zwei Anrufe bei Genetikexperten, dass Lilys generationenübergreifendes Gedächtnis vielfach belegt war. Viele Psychiater sehen in der genetischen Übertragung die beste Erklärung von Hunderten Fällen, in denen die Betroffenen ihre Behauptung, früher schon einmal gelebt zu haben, mit rätselhaft genauen Fakten belegen können. 19
Ein potenzielles Mitglied der Familie Ripley im Witching des 17. Jahrhunderts ausfindig zu machen war auch aus anderen Gründen interessant: Wenn Rebecca ihren Fluch nur über eine verräterische Freundin verhängt hatte und nicht über den ganzen Ort, dann stand Witchings langjährige Liebesaffäre mit der Vorstellung der eigenen Verfluchtheit auf wackligen Beinen. Ein feines PS fast zehn Jahre nach meiner Hirst-Analyse: »Ein weiterer Beweis, wenn es überhaupt einen bräuchte, dass die einzigen Flüche auf Witching die der Halsstarrigkeit und des Schweigens sind – was Nicholas Hirst sicherlich bestätigt hätte.«
Angesichts des hektischen Trubels auf den belebten Straßen vor der Telefonzelle klang Witching noch abgeschiedener als sonst, als ich zu Hause anrief. Die verzögerte Übertragung machte das Gespräch künstlich und schwerfällig wie eine zu langsam abgespielte Schallplatte. Nachdem ich einen baldigen Besuch in Aussicht gestellt und ungewöhnlich ermüdenden Smalltalk durchgestanden hatte, versprach Dad, sich im Ort nach den Ripleys zu erkundigen – einer seiner Kollegen bei der Polizei war ein besonders eifriger Heimatforscher. Doch als ich mich kurz darauf noch einmal meldete, hatte er nichts zu berichten. Allerdings waren meine Erwartungen auch nicht besonders hoch gewesen. Es gab keinen Grund, weshalb eine ganz normale Familie genug Spuren hinterlassen haben sollte, um das Interesse von Dads enzyklopädischem Freund zu wecken. Auf dem Heimweg unter einem düsteren Himmel, der das nächste Gewitter ankündigte, drifteten meine Gedanken hin und her zwischen Mitleid für die zahllosen Menschen, die spurlos in der Mülltonne der Geschichte verschwunden und von den selbst ernannten Schützern ihres Andenkens im Stich gelassen worden waren, und dem Wunsch nach einer Jacke.
Richard, der sich erst kürzlich eine Allwetterjacke für siebenhundert Dollar gekauft hatte, war nach seiner juristischen Tour de Force bester Dinge. Nach einer angemessenen Gratulation schilderte ich kurz die jüngsten Entwicklungen in meinem Fall, während er sich bereit machte, Donna zum Feiern in ein Restaurant auszuführen, in dem er schon eine Viertelstunde vor der Urteilsverkündung einen Tisch reserviert hatte. Aufmerksam hörte er sich meine Beschreibung der Hypnose an und ließ gelegentlich eine zustimmende Äußerung fallen. Doch nachdem ich meine Theorie über das Ahnengedächtnis skizziert hatte, zog er betont die Augenbrauen hoch.
Das wurmte mich. »Ich weiß, es klingt bizarr, aber es gibt Präzendenzfälle.«
»Sicher, doch sie ist Schauspielerin. Meinst du nicht, sie könnte dir bloß was vorgemacht haben?«
»Möglich. Aber du hättest dabei sein müssen. Wenn das gespielt war, dann ist sie wirklich brillant.«
»Sie ist brillant.« Richard band sich die Krawatte.
»Aber ihr Verhalten unter Hypnose …« Ich verstummte.
»Weißt du, was im Fall Genelli den Ausschlag gegeben hat?« Richards Frage war rhetorisch. »Sein Anwalt ist ständig auf dem Stockholm-Syndrom herumgeritten, und zuerst hat es auch funktioniert.« Wie immer, wenn er einen Gegner nachahmte, stimmte er einen quengelnden Ton an. »›Mr. Genelli hatte schreckliche Angst. Mr. Genelli wurde misshandelt. Mr. Genelli war in einer Notsituation.‹ Und so weiter.« Die letzten Worte zog er spöttisch in die Länge. »Doch dann hat sich auch noch Genelli eingeschaltet. ›Ach, ich konnte nicht die Wahrheit sagen, weil sie mich sonst zusammengeschlagen hätten. Also habe ich mich allmählich mit ihnen identifiziert. Das war ein Abwehrmechanismus.‹ Immer in dieser Richtung. Aber das war alles viel zu geschleckt. Er hatte es aus einem Buch. Am Ende haben wir nachgewiesen, dass er kein Stockholm-Syndrom hatte, sondern nur gut geschult worden war.«
»Und?«
»Heutzutage wissen die Menschen, welche Symptome sie zeigen müssen«, erklärte Richard. »Sie lesen die Lehrbücher, sie
Weitere Kostenlose Bücher