Ruegen Ranen Rachedurst
Schweden, Preußen oder die DDR die Oberhoheit über diesen küstenreichen, arg zerfransten Landflecken in der Ostsee gerade innehatte, so lag es wohl in der Natur einer Insel, dass sich die Einwohner stets etwas sehr Eigenes bewahrten.
Noch einmal sah sich Benecke die Aufnahme des Käfers, den er im Halsstumpf des Toten gefunden hatte, auf seiner Digitalkamera an.
„ Was denken Sie?“, fragte George, der Benecke aus den Augenwinkeln beobachtete, nachdem dieser eine Weile nichts gesagt und scheinbar nur vor sich hingegrübelt hatte.
„ Also, ausschließen kann man, dass der Käfer auf natürlichem Weg an den Ort kam, an dem ich ihn gefunden habe“, meinte Benecke.
„ Weil er aus Australien stammt?“
„ Richtig.“
„ Dann ist der Mörder ein Australien-Fan.“
„ Zumindest könnte er eine wie auch immer geartete Beziehung zu Australien haben. Oder er ist einfach nur ein Käfersammler oder hat eine Käfersammlung geerbt, von der er aus irgendeinem Grund ein seltenes Exemplar auf ungewöhnliche Weise loswerden wollte …“ Benecke schüttelte den Kopf. „Mein Gehirn käst, das macht mich ganz jeck, aber die Tatsache, dass dieser Käfer da nicht hingehörte, wo ich ihn gefunden habe, bringt uns noch nicht wirklich weiter.“
„ Aber vielleicht bringt es uns einen Hinweis auf den Tatort“, schlug George vor. „Ich meine, es scheint ja sehr nahezuliegen, dass die Leiche an einem anderen Ort zu Tode kam.“
„ Allerdings!“, bestätigte Benecke.
„ Und vielleicht ist dort der Käfer in den Halsstumpf gelangt“, spann George den Faden weiter.
„ Sie meinen, dass der Täter vielleicht exotische Käfer in seiner Wohnung hält, so wie ich das mit meinen Fauchschaben tue, die ich bei meinen Veranstaltungen vorführe?“, vergewisserte sich Benecke.
„ Genau.“
„ Aber beim Transport der Leiche wäre der Käfer herausgefallen. Da bin ich mir ziemlich sicher“, widersprach Benecke. „Nein, der Mord geschah zwar nicht bei den Ziegensteinen – aber der Käfer wurde definitiv erst dort im Halsstumpf des Opfers platziert.“
Benecke ließ den Blick über den Lauterbacher Hafenvorplatz und die an den Imbisshäuschen vorbeiflanierenden Touristen schweifen. Gelächter klang von dem am Kai liegenden Räucherschiff herüber, an dessen Bug man deutlich die Beschriftung „Berta“ ausmachen konnte.
„ Vielleicht bringt es ja was, die Steinmüllers zu befragen …“
„ Die Leute, die die Leiche gefunden haben?“
„ Richtig. Ich hoffe nur, dass sie sich im Hotel aufhalten. Aber, ehrlich gesagt, wenn ich eine Leiche gefunden hätte, dann hätte ich jetzt auch nicht gerade große Lust, den Rest des Tages mit der Besichtigung touristischer Highlights zu verbringen.“
„ Sie gehen jetzt stillschweigend davon aus, dass ich mich um den Fall kümmere“, stellte Benecke trocken fest.
„ Ist das vielleicht eine falsche Voraussetzung?“, fragte George ungerührt.
Benecke antwortete nicht, sondern ließ sich stattdessen nochmal ein paar der anderen Bilder auf dem Kamera-Display anzeigen. Das war zwar zu klein, um wirklich relevante Einzelheiten erkennen zu können, aber manchmal brachte einen allein schon das Sich-in-Erinnerung-Rufen der groben Tatort-Verhältnisse dazu, dass man der Wahrheit ein Stück näher kam.
„ Manchmal schadet das Denken eben doch nicht“, fuhr George fort. „In diesem Fall habe ich einfach von mir auf andere geschlossen. Auf Sie nämlich. Sie sind doch genauso fanatisch mit Ihrem Beruf verbunden wie ich. Wenn wir schnell hätten Geld verdienen wollen, wären wir kellnern gegangen, aber stattdessen machen wir beide etwas, das von unserem Privatleben gar nicht zu trennen ist. Und Sie haben doch längst angebissen und Feuer gefangen. Na ja, wie auch immer man das nun ausdrücken will. Und vermutlich grübeln Sie im Moment nur noch darüber nach, wie Sie Ihrer Frau beibringen, dass diese sich bis zur Aufklärung des Falles hier auf Rügen wohl erst mal weitgehend alleine beschäftigen muss!“
Benecke seufzte. George hatte genau ins Schwarze getroffen. Tatsächlich kreisten seine Gedanken schon viel mehr um diesen Fall, als es gut war, wenn man sich mit der Sache eigentlich gar nicht weiter befassen wollte. Aber von diesem kopflosen Kerl auf dem Ziegenstein ging gewissermaßen ein Sog aus, der ihn förmlich zwang, nach der richtigen Lösung zu suchen.
„ Na ja, dieser Hauptkommissar Jensen wirkte ja schon ziemlich verzweifelt“, gestand Benecke schief grinsend und auf
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