Ruegen Ranen Rachedurst
ausgeplündert und später selbst benutzt. Es war wie so oft – ein heiliger Ort zog weitere Heiligtümer an – ein Ort des Todes weiteres Unheil.
Benecke blieb einen Augenblick stehen und betrachtete den kopflosen Mann, dessen Beine seltsam verrenkt wirkten und stark angewinkelt waren. Ein Fuß ragte über den Stein hinweg, der andere nicht.
Nein, zufällig war der Leichnam dort nicht abgelegt worden …
Er wirkte wie drapiert.
„ Das Opfer sollte wohl aus irgendeinem perversen Grund präsentiert werden, so wie es daliegt!“, meinte George. „Zumindest denke ich
das.“
„ Nicht denken“, murmelte Benecke. „Überprüfen und untersuchen, aber nicht denken, sonst fangen wir schon mit einer falschen Grundannahme an, was dazu führt, dass wir die falschen Spuren für bedeutungsvoll halten …“
„ Ja, ja, ich weiß …“, entgegnete George. „Den Verstand auszuschalten passt wohl besser zu Ihrem Job als zu meinem, was?“
„ Sagen Sie das nicht!“ Der Kriminalbiologe drehte sich zu Jensen um. „Ist der Leichnam bewegt worden?“
„ Nein“, sagte Hauptkommissar Jensen. „Wir haben vorsichtig die Taschen seiner Kleidung nach Dokumenten durchsucht, die ihn vielleicht identifiziert hätten – aber so leicht haben es uns der oder die Täter nicht gemacht.“
Benecke nahm seine sturzsichere und wasserdichte Olympus DigitalKamera hervor und machte ein paar Aufnahmen vom Toten.
Dann näherte er sich weiter dem Stein. Als George und Jensen ihm folgen wollten, bedeutete er ihnen mit einem Handzeichen, sie sollten zurückbleiben.
Dann wandte sich Benecke der Leiche zu. Er holte Latexhandschuhe aus einer seiner Gürteltaschen und streifte sie über. Mehr brauchte er nicht an Schutzkleidung oder Zusatzausrüstung für seine Arbeit. Zumal dann nicht, wenn alles schon verspurt war.
Benecke sah sich zuerst den Stumpf des Halses an, auf dessen Schnittfläche Hunderte von Maden krochen. Als er sich über die Leiche beugte, flogen etwa zwei Dutzend Fliegen von der Leiche fort, um sich Sekunden später wieder auf dem Toten niederzulassen. Die Gerichtsmedizin würde sich mit der genauen Bestimmung der Todeszeit und der Überprüfung möglicher innerer Verletzungen beschäftigen. Darum brauchte er sich jetzt nicht zu kümmern, das konnte er später im Bericht nachlesen.
Nachdenklich betrachtete er den Leichnam. Davon abgesehen, dass er keinen Kopf mehr besaß, schien er keinerlei äußerlich sichtbare Verletzungen zu haben. Zumindest kam nirgendwo Blut durch die Kleidung, und es war auch nirgends eine Einschuss- oder Einstichverletzung zu sehen. Benecke machte einige weitere Aufnahmen von der Leiche.
Fotos aus verschiedenen Perspektiven gehörten zu den gängigsten Hilfsmitteln bei seiner Arbeit. Abertausende davon befanden sich auf seinem MacBook. Was darauf wichtig war, fiel ihm manchmal erst viel später auf.
Besonderes Interesse erregte natürlich der Halsstumpf. Was mochte mit dem Kopf geschehen sein? War er dem noch lebenden Mann abgeschlagen oder erst nach dem Tod abgetrennt worden?
„ Hier ist praktisch kein Blut auf dem Stein“, konstatierte Benecke.
Es war eine schlichte Feststellung – aber mit weitreichenden Konsequenzen.
George und Jensen näherten sich jetzt doch etwas.
„ Deswegen glauben wir auch nicht, dass er hier umgebracht wurde“, sagte Jensen.
„ Haben Ihre Leute hier in der Nähe noch irgendwo Blut gefunden?“
„ Nein.“
Benecke deutete auf den Halsstumpf des Toten. „Wenn es eine Säge gewesen ist, mit der der Kopf abgetrennt wurde, dann müssten hier ausgefranste Hautpartien zu sehen sein.“
„ Von den Zacken?“, fragte George.
„ Genau.“
„ Also eine Säge scheidet aus …“
Benecke fuhr fort: „So ein Kopf ist schwerer vom Rumpf zu trennen, als man glaubt. Die Henker früher mussten sich ordentlich Mühe geben, mit ihrem Schwert den Kopf auch wirklich mit einem Schlag abzutrennen, und das ist ja auch oft genug danebengegangen. Was käme dafür noch infrage? Eine Axt zum Beispiel. Noch genauer eine rostige Axt …“ Benecke deutete auf eine bräunliche Stelle. „Ich glaube jedenfalls nicht, dass dies hier getrocknetes Blut ist. Das sieht mir nach Rost aus! Genaues kann natürlich nur das Labor sagen.“
Jensen hob die Augenbrauen.
„ Also das heißt …“
„… dass man ohne den Kopf die Todesursache wohl unmöglich feststellen kann“, erklärte Benecke. „Aber wenn Sie jemanden mit einer rostigen Axt herumlaufen sehen, sollten Sie ihn
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