Ruegen Ranen Rachedurst
der Ton war ausgeschaltet.
Durch die Fenster hatte man eine traumhafte Aussicht.
„ Weshalb waren Schneider und Delwinger eigentlich hier, und was machten sie genau?“, fragte George. „Mal ganz dumm gefragt. Vielleicht weiß Herr Jensen ja mehr, aber ich bin da völlig unbedarft.“
„ Ich biete hier Seminare zur Burnout-Vorbeugung an. Kraft tanken, Kraft behalten – in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das gerade für Führungskräfte wichtiger denn je! Ich miete dafür immer ein paar Ferienhäuser in idyllischer Lage an, die nicht allzu weit auseinanderliegen. Dieses Jahr zum ersten Mal auf Rügen, früher bin ich oft ins Sauerland an die Listertalsperre gegangen. Aber hier gefällt es mir sehr gut, und im Gegensatz zu vielen anderen Locations, an denen man so etwas durchziehen könnte, gibt es hier WLAN.“ Ein mattes Lächeln flog über sein Gesicht. „Sie können sich ja denken, wie das ist! Diese Workaholics, die ich vor der Depression oder dem Herzinfarkt bewahren möchte, können natürlich ohne eine Netzanbindung nicht existieren.“
„ Wäre es nicht besser, wenn die mal für ein paar Tage oder Wochen völlig offline wären?“, fragte George. „Ich meine, wenn man dem Burnout wirklich vorbeugen will …“
„ Mag schon sein. Es gibt nur ein Problem dabei: Diese Leute würden dann gar nicht erst in meine Kurse kommen, wenn ich gleich in mein Exposé schreiben würde: Kein Internet, wir treffen uns am Ende der Welt!“
Das konnte Benecke nur zu gut nachvollziehen, da er selbst stets darauf achtete, niemals länger als einen Tag nicht ins Internet zu schauen. Bei hundert bis zweihundert auflaufenden E-Mails pro Tag ging es einfach nicht anders.
„ Ja, man muss schon Kompromisse machen zwischen der reinen Lehre und dem, wo die Klienten auch mitziehen. Sonst hat das Ganze keinen Sinn!“
Er sagte ,Klienten‘, fiel Benecke auf, nicht ,Patienten‘. Dr. Benecke wusste von seiner Frau, die auch Diplompsychologin war, dass das Wort ‚Patient‘ in Fachkreisen für Menschen, die eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung aufsuchten, benutzt wurde. Im Unterschied dazu wurden Menschen, die sich wie die Manager einer psychologischen Beratung oder Unterstützung unterzogen, um ihre Lebens- oder Arbeitsqualität zu verbessern, ,Klienten‘ genannt.
„ Wie läuft so ein Seminar denn ab?“, fragte George neugierig.
„ Die Teilnehmer wohnen in Gruppen zu viert, manchmal zu sechst in den Häusern. Wir treffen uns zwischenzeitlich zur Gruppenarbeit, und ich gebe dann Impulse in die Gruppen hinein. Gemeinsame Aktivitäten unter Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, das ist der Schlüssel. Die Teilnehmer lernen, dass sie mit ihren geheimen Sorgen nicht allein sind und dass ihre Ängste auch nichts mit irgendeiner krankhaften Veränderung ihrer Psyche zu tun haben, sondern dass sie den Umständen geschuldet sind, unter denen sie Tag für Tag hart arbeiten müssen. Diese Gruppe bestand fast ausschließlich aus Führungskräften der Finanzbranche. Mittleres bis gehobenes Management, würde ich sagen. Menschen, die jeden Tag unter einem enormen Entscheidungsdruck stehen und keine Schwächen zeigen dürfen, weil man sie dann für inkompetent hält.“
„ Vier Teilnehmer wurden dann plötzlich vermisst!“, rekapitulierte Benecke. „Das ist doch richtig?“
„ Sie sind einfach nicht von einem Spaziergang zurückgekehrt. Das vermutete ich. Genau weiß das niemand, sie haben sich nicht abgemeldet oder so. Es gibt innerhalb des Seminars eben auch immer wieder frei gestaltbare Phasen, über die niemand Rechenschaft abzulegen braucht.“
„ Wo sind die anderen Teilnehmer?“
„ Nach Hause gefahren“, erklärte Störens und seine bisher recht kontrolliert wirkenden Gesichtszüge ließen jetzt die Maske fallen. Er sah ziemlich mitgenommen aus. „Morgen wäre der letzte Tag gewesen, aber nachdem die vier verschwunden sind, war das Seminar natürlich nicht mehr durchzuführen. Und als dann diese Geschichte mit dem geköpften Frank Schneider noch die Runde machte …“
Er winkte ab und schüttelte den Kopf. „Na ja, jetzt sitze ich hier vor einem Scherbenhaufen. Juristisch gesehen kann natürlich niemand die Kursgebühren zurückverlangen. Aber von denen, die dieses Mal hier waren, wird wohl niemand wiederkommen. Das Schlimme ist, so etwas spricht sich natürlich herum! So viele Entscheider in dieser Liga und in dieser Branche gibt es nun auch nicht, dass man da ein
Weitere Kostenlose Bücher