Ruegen Ranen Rachedurst
Satz ab. Die ganze Situation schien ihn sehr zu stressen. „Wenn ich jetzt sage, der Täter wollte reinen Tisch machen, ist das eigentlich etwas unpassend, aber …“
„ Ich weiß schon, was Sie meinen“, versicherte ihm Benecke.
Er wandte sich dem Toten zu.
Zusammen mit der roten Farbe, die etwas nachgedunkelt war, wirkte es so, als hätte sich ein Schwall von Blut aus dem Halsstumpf des Geköpften über den Stein in die darunterstehende „Auffangschale für das Blut“ ergossen. Das war aber nicht der Fall. Der Tote war erst hierher transportiert worden, als der Stumpf schon längst nicht mehr blutete.
„ Diese Auffangschale ist ein prähistorischer Mahlsteintrog, den man hier auf der Insel an verschiedenen Stellen findet“, erklärte Susanne Hawer, die sich sichtlich bemühte, den Kriminalbiologen mit ihrem geschichtlichen Wissen zu beeindrucken. Sie fuhr abwertend fort: „Er wurde wegen der größeren Effekthascherei auch hier platziert, direkt unter dieser Rinne im Opferstein.“
Benecke lächelte sie anerkennend an und nahm sich dann eine Taschenlampe aus seinem mit vielen nützlichen Geräten gespickten Arbeitskoffer.
Damit leuchtete er in den Hals hinein.
Dann nahm er seine Digitalkamera und machte zunächst einige Fotos.
Kurz danach hatte er auch schon einen Käfer mit seiner Pinzette herausgeholt.
„ Asien oder Amerika?“, fragte Jensen.
„ Europa“, entgegnete Benecke. „Amerika ist nämlich schon vergeben und steht nicht mehr zur Auswahl.“
„ Wie bitte?“, Jensen runzelte die Stirn. „Ich dachte, Sie hätten bisher Käfer aus Afrika und Australien bei den Leichen gefunden.“
„ Ja, aber es gibt einen Fall, der schon Jahre zurückliegt und in diese Reihe hineingehört“, erklärte Benecke und tütete dabei das fünf bis sechs Millimeter große Käferpräparat ein. „Dies ist jedenfalls ein Trachypachus Motschulsky aus Nordeuropa. Die Borsten an den Fühlergliedern sind nur locker nebeneinandergestellt … Ja, das ist er! Kommt übrigens bis an den Rand der Arktis vor!“
„ Können Sie sonst noch etwas sagen?“, fragte Jensen ziemlich gereizt.
„ Ein bisschen Zeit müssen Sie mir schon noch lassen.“
Ein Befall der Leiche durch Maden hatte bereits eingesetzt. Für jeden, der nicht in irgendeiner Weise mit diesem Metier zu tun hatte, ein absolut schrecklicher Anblick. Aber für den forensischen Entomologen gehörte der Zersetzungsprozess, der bei einem Leichnam immer erfolgte, zum natürlichen Verlauf in der Natur. Es gab über hundert verschiedene Insektenarten, die in verschiedenen Stadien eine Leiche besiedelten und an der Zersetzung beteiligt waren. Und es war für ihn immer wieder spannend, dass Insekten zur Klärung von Todesfällen entscheidend beitragen konnten.
Sein Hauptaugenmerk richtete sich aber nun nicht auf das, was sich auf dem Körper des Toten gerade abspielte, sondern – auf die Schuhe. Einer fehlte. Der andere Schuh enthielt Sand – so wie bei den anderen Leichen auch. „Der Tote ist geschleift worden“, stellte Benecke mit Blick auf die Spuren am Boden vor dem Stein fest. „Ich hoffe, der Ort ist schon fotografiert worden.“
„ Wir haben alles im Kasten!“, versicherte Jensen. „Und zwar mehrfach. Ich nehme an, dass der zweite Schuh bei dem Transport verloren ging.“
„ Wurde er denn irgendwo gefunden?“
„ Nein“, schüttelte Jensen den Kopf. „Aber der Täter könnte ihn irgendwo hier im Wald abgelegt oder wieder mitgenommen haben.“
Benecke wandte sich dem schuhlosen Fuß zu. An der Hacke klebte feuchter Waldboden. Er zog dem Toten dann vorsichtig den einzigen Schuh aus, der ihm noch geblieben war. Dort war kein dunkler Waldboden an der Hacke. Stattdessen rieselte nur Sand heraus.
„ Nein, ich glaube nicht, dass der Schuh hier verloren wurde.“
„ Wo dann?“, fragte Jensen.
„ Dort, wo die Leiche eine Weile im Sand gelegen hat. Irgendwo am Strand oder in den Dünen. Der Täter musste den Toten ja hierher transportieren, hat ihn aufgeladen und dabei ist der Schuh verloren gegangen.“
„ Wenn wir Glück haben, hat er ihn einfach nur in einen Mülleimer geworfen, und wir finden ihn beim Täter! Dann wäre er überführt!“, fügte George aufgeregt hinzu.
„ Ja. Vorausgesetzt, wir wüssten, wer es ist!“ Benecke wandte sich noch einmal Jensen zu. „Dieser Fall mit dem amerikanischen Käfer, den ich vorhin erwähnte, ist der Schlüssel zu der Sache. Davon bin überzeugt!“
„ Ich weiß nicht“, meinte der
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