Ruegen Ranen Rachedurst
ganze Zeit Beneckes Ausführungen interessiert gelauscht hatte, mischte sich jetzt mit einem Seitenblick auf ihren genervten Chef ein: „Also, die Stelle, an der Sie den Bart gefunden haben, soll der Abdruck eines Kinderfußes sein. So erzählt man sich zumindest.“ Sie trat vor und deutete nacheinander auf drei verschiedene Vertiefungen im Stein. „Ein Kinderfuß, ein Erwachsenenfuß und ein Hasenfuß.“
„ Tja, klingt interessant“, meinte Benecke.
„ Und was soll das nun bedeuten? Der Täter hat den Bart in den Kinderfuß gelegt, weil er mal ein Kind war, oder was sollen wir jetzt daraus schließen?“, fragte Hauptkommissar Jensen mit spöttischer Stimme.
Um die gereizte Stimmung etwas zu dämpfen, warf George ein: „Jedenfalls braucht der Täter den Bart nicht mehr, und das könnte bedeuten, dass er wohl niemanden mehr tötet.“
Benecke nickte nachdenklich. „Die Sache ist abgeschlossen. Wenn wir jetzt bei der Leiche einen Käfer aus Asien finden, dann könnte das die Bestätigung dafür sein.“
„ Es gibt eine Geschichte zu diesem Stein“, sagte Susanne Hawer. „Eine Jungfrau sollte hier einst geopfert werden. Man hatte sie beschuldigt, mit einem schwarzen Umhang geflogen zu sein, was wohl eine verbotene Hexerei war. Sie flehte natürlich um ihr Leben und versicherte, dass sie unschuldig sei! Die Priester verlangten aber ein Zeichen für ihre Unschuld und dafür, dass sie rein vor Gott sei …“
„ Und?“, fragte Benecke gespannt, „gab es da ein Zeichen?“
„ Ja, es erschien ein fremdes Kind – ein Engel!“
„ Und von dem Engel stammt der kleine Abdruck – der Legende nach.“
„ Genau. Das Kind nahm die Jungfrau und ging mit ihr über den Stein.“
„ Und was ist mit dem Hasenfußabdruck?“, mischte sich George ein.
„ Zur gleichen Zeit soll der Teufel in Gestalt eines Hasen über den Stein geschritten sein. Er folgte den beiden nach.“ Susanne Hawer zuckte die Achseln. „Das war die Geschichte. Die gibt es natürlich in mehreren Varianten, aber hier in der Gegend kennt sie jedes Kind.“
„ Geht es in diesem Fall vielleicht um ein Kind?“, fragte George. „Ich blicke da, ehrlich gesagt, noch nicht durch.“
Mit Spannung schauten jetzt alle dem Forensiker zu, der sich durch ein Gewimmel von sehr kleinen Maden und anderen Insekten über den Halsstumpf beugte, zielsicher etwas herauspickte und es ins Licht hielt.
„ Das ist doch ein ganz normaler Marienkäfer“, meinte Georg Schmitz ganz enttäuscht.
„ Asiatischer Marienkäfer, Gattung: Harmonia axyrides“, korrigierte Benecke.
„ Also, ich bin ja Brillenträger, aber so einen habe ich auch schon bei uns im Selfkant gesehen – und zwar massenhaft!“
„ Ja, hier auf Rügen gab´s auch schon richtige Marienkäferplagen“, mischte sich Hauptkommissar Jensen ein.
„ Der Asiatische Marienkäfer kommt eigentlich nur in China und Japan vor“, erklärte Benecke. „Aber in den 1990er-Jahren hat man ihn zur Schädlingsbekämpfung erst in die USA und dann auch nach Europa exportiert und freigesetzt. Das war vielleicht keine besonders weise Maßnahme, denn inzwischen befürchtet man, dass er die heimischen Arten verdrängt. Außerdem kann er sehr lästig werden, wenn er im Herbst große Schwärme bildet, die gerne in Häusern überwintern.“
„ Aber Sie sind sich sicher, dass dieser Käfer sich nicht einfach nur so zum Sterben in den Halsstumpf gesetzt hat?“, fragte Jensen.
Benecke nahm seine Lupe und betrachtete noch einmal den Käfer von allen Seiten.
„ Vollkommen“, sagte er.
In diesem Augenblick klingelte Beneckes iPhone. Als er das Gespräch annahm, erstarrte er fast vor Schreck.
„ Haben Sie … es gefunden?“
Es war dieselbe Stimme, die ihn schon im Kutter 4 angerufen hatte. Zu dumm, dass man so schnell keine Fangschaltung hinbekommen konnte!
„ Ja“, bestätigte der Kriminalbiologe. „Wir haben alles gefunden.“
Auf der anderen Seite der Verbindung hörte Benecke ein schweres Atmen und dann ein: „Gut!“
„ Auch den Bart.“
Wieder ein heftiges Atmen.
„ Mit wem redet der da eigentlich?“, fragte Hauptkommissar Jensen dazwischen.
George machte ihm ein Zeichen, still zu sein.
„ Was ist mit dem Kind geschehen?“, wollte Benecke unvermittelt. Irgendwie musste er einen Bezug finden zwischen dem Täter und dem seltsamen Arrangement, das er hinterlassen hatte. Eigentlich war das ja nicht sein Fachgebiet und er bedauerte, dass Lydia nicht dabei war. Sie als Psychologin hätte
Weitere Kostenlose Bücher