Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
und zog kräftig an Anas Kleidersaum. »Vielleicht findet er, dass nur Schauspielerinnen ihre Fußknöchel zeigen sollten.«
»Wie unverschämt!« Ana sprang von ihrem Stuhl auf. »Dabei wollte ich nur nett zu dir sein!« Damit stolzierte sie zur Anrichte und arrangierte übertrieben beflissen einen Blumenstrauß neu.
Lydia schämte sich und wollte sich gerade bei ihr entschuldigen, da beugte Ana sich vor und stellte ihre neumodische Turnüre in all ihrer Pracht zur Schau. Lydia klappte den Mund wieder zu. Sie hatte bei der Modistin dagegen protestiert, war jedoch von Sophie überstimmt worden. Deshalb nahm Anas Allerwertester jetzt dreimal so viel Platz ein, wie die Natur dafür vorgesehen hatte, und zitterte so heftig, dass die Vermutung nahelag, es hielte sich unter ihren Röcken ein kleines Tier versteckt. Ein grässliches Ding! Es war unübersehbar nur für einen Zweck bestimmt: die Blicke der Gentlemen auf Regionen zu lenken, wo sie eigentlich nichts zu suchen hatten.
Ein Seufzer zeugte von Sophies Rückkehr in den Raum. Sie hatte sich mit der Haushälterin gestritten, der sie die Schuld für die durchweichten Plätzchen gab, die den Gästen gereicht worden waren. »Unfähig«, murmelte sie, als sie auf den Stuhl neben Lydia sank. »Höchst bedauerlich.«
Mit einem grimmigen Nicken deutete Lydia zur Anrichte. Ana widmete sich inzwischen dem neusten Blumenstrauß, einer Explosion aus grellrosa Teerosen mit buschigen Zweigchen von Herbstzeitlosen, Akeleien und Geranien. Auf der beiliegenden Karte stand zwar kein Name, doch wenn man die Bedeutung der Blumen aneinanderreihte, wusste man auch so, von wem sie kamen.
Ich werde mich immer daran erinnern. Meine besten Tage sind entschwunden. Ich bin entschlossen, zu gewinnen. Ich erwarte ein Treffen .
»Ganz und gar bedauerlich«, stimmte Lydia zu.
Sophie zog eine Augenbraue hoch. »Bist du auch sicher, dass sie von Sanburne stammen? Es ist so ein grässliches Arrangement, und ihm wird sonst ein erlesener Geschmack nachgesagt.«
»Ha! Das ist nicht das einzige Gerücht, das ich heute über ihn gehört habe.« Sie hatten stundenlang von ihm gesprochen: Sanburne war ein Schlawiner, ein Raufbold. Ein echter Adonis und ein hervorragender Sportsmann. Er trank viel – aber mit Stil. Er war ein sehr fortschrittlicher Atheist. Sein Onkel mütterlicherseits hatte ihm eine Menge Land hinterlassen, das er veräußert hatte, um von dem Geld ein paar schmutzige Fabriken in Yorkshire zu kaufen. Jetzt machte er ein Vermögen, indem er Arbeiter ausbeutete, und freute sich diebisch über jede Gelegenheit, seinem Vater sein kaufmännisches Talent unter die Nase zu reiben. »Die Blumen sind eindeutig von ihm«, murmelte Lydia. Während sie an die Überfülle von Edelsteinen zurückdachte, die von seinen Fingern spross, fügte sie hinzu: »Ich finde sie sogar sehr typisch für ihn. Der Mann ist genauso protzig wie dieses Bouquet.«
»Glamourös, Lydia. Er ist sehr beliebt.«
»Beliebt? Bei Trunkenbolden und Einwanderern vielleicht. Mrs Bryson hat mir alles darüber berichtet. Sie sagt, auf seinen Partys tummeln sich allerlei schlecht erzogene Weiberhelden.«
Sophie schnaubte verächtlich. »Ihrer Meinung nach ist jeder Mann ohne Backenbart ein Weiberheld. Und sein engster Freundeskreis ist sehr elegant – etwa so wie der gesellschaftliche Zirkel im Londoner Marlborough House, würde ich meinen, aber es ist noch schwerer da reinzukommen, weil sie alle schon ewig befreundet sind.« Ihr plötzlicher Seufzer stank förmlich nach Neid. »Erinnerst du dich an die Zeit, als George noch Interesse an gesellschaftlichem Umgang zeigte? Damals hätte er Sanburne kennenlernen können. Zu Beginn unserer Ehe hat er keine Party ausgelassen. Und jetzt? Jetzt will er nur noch mit den Mitgliedern seines Clubs über Politik reden. Selbst die Ehefrauen kennen kein anderes Thema.«
Was hast du erwartet? Das sind Politiker. Doch Lydia hütete sich, das laut zu sagen. Wenn sie eine Beschwerde entkräftete, suchte sich Sophie gleich die nächste. Sie fand immer neue Gründe, um von George enttäuscht zu sein. Eine gütigere und großmütigere Schwester würde Sophie sicher helfen, seine Stärken zu erkennen. Viel Glück dabei, Ana.
»Sanburne wäre ein erstklassiger Fang.« Sophie zog ihr Büchlein hervor. »Hast du einen Füllfederhalter?«
Lydia stieß ein ungläubiges Lachen aus. Als einzige verheiratete Frau unter ihnen war Sophie die Aufgabe zugefallen, Anas Anstandsdame zu spielen. Sie trug
Weitere Kostenlose Bücher