Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
liebkosen. Er hatte zwar gemurrt, es aber toleriert. »Das Arbeitszimmer ist das, was uns trennt, James«, hatte sie einmal zu ihm gesagt. »Dort habe ich gelernt, was Liebe ist, während du nur Feindseligkeit erfahren hast.«
Er sah zu, wie Moreland mühsam auf die Beine kam und vor Anstrengung rot anlief. Und plötzlich wurde ihm klar: Die Guillotine würde früher fallen, als er gedacht hatte. Schon bald würde dieses Arbeitszimmer ihm gehören, und er würde es vom Geruch des Zitronenwachses reinigen.
Der Gedanke hätte ihn sonst vielleicht erfreut. Stattdessen bohrte er sich heute wie ein Messer in eine Stelle tief in ihm, die bisher versiegelt war, und setzte eine überwältigende Welle von Bedauern frei.
Ihr Verhältnis hätte nicht anders sein können. Er kannte seinen Vater und sich selbst zu gut, um sich etwas anderes einzureden. Dafür waren sie sich zu ähnlich: beide zu stur und zu entschlossen, an ihren Grundsätzen festzuhalten, und weniger ehrenhaft, um an dem Unrecht festzuhalten, das ihnen angetan wurde. Gott, er hatte diesen Hass zu lange kultiviert. Einstmals hatte er ihm die Kraft gegeben, weiterzuleben. Er hatte sich selbst weisgemacht, dass es ein nobles Anliegen sei, das seiner Welt eine gewisse Würze verlieh. Doch jetzt war es zu einer Bürde geworden. Er hatte es satt. Es war nur noch ermüdend. Wenn Stella den Hass nicht brauchte, brauchte er ihn auch nicht mehr.
»Nun?«, bellte Moreland. Er hatte Haltung angenommen, die Hände flach auf den Tisch gelegt und rechnete fest mit harschen Worten, einer neuen Anfeindung, gegen die er sich wehren musste. Er zog schon seine eigenen Waffen zusammen: Seine Fingerknöchel waren weiß von der Anstrengung seiner Vorbereitung.
James räusperte sich. Er hatte sich darauf gefasst gemacht, dass es ihm schwerfiele, die Worte auszusprechen. Doch sie kamen aus seinem Munde, als hätte er sie schon hundert Mal geübt. »Ich bereue das«, sagte er. »Ich bereue, dass wir einander nur noch mit Argwohn ansehen können. Ich glaube nicht, dass wir das je überwinden werden. Aber du sollst wissen, dass es mir keinen Spaß mehr macht.«
Moreland zog die Augenbrauen zusammen. Aus jeder Falte seines Gesichts sprach Misstrauen. »Was für ein Unsinn ist das nun wieder?«
»Von der besten Art. Ein kleines bisschen Aufrichtigkeit, unverschleiert von Höflichkeit. Dwyer hat dir sicher schon berichtet, dass ich Stella besucht habe.«
»Selbstverständlich. Gegen ihren ausdrücklichen Wunsch, und gegen meinen eigenen, musstest du dich einmal mehr durchsetzen.« Mit plötzlicher Hitzigkeit fügte er hinzu: »Geh zum Teufel, James. Du wirst sie in Ruhe lassen!«
»Das werde ich auch«, beteuerte James. »Jetzt, wo ich sie gesehen habe.« Er nahm vor dem Schreibtisch Platz. Das überraschte Moreland. Er stieß ein abfälliges Schnauben aus und ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder. Als er eine bequeme Position gefunden hatte, starrte er James an und versuchte, ihn zum Wegsehen zu zwingen. Das war ein alter Trick von ihm, der sich am besten bei verängstigten Achtjährigen anwenden ließ. James fuhr unbeeindruckt fort. »Ich verstehe jetzt ein bisschen besser, warum du deine Hände in Unschuld wäschst. Es ist ein hübsches Arrangement, das sie in Kenhurst hat. Ganz anders als in der Anstalt davor. Das wusstest du natürlich. Und auch, dass ich es nicht wusste. Nur schade, dass du dir nie die Mühe gemacht hast, mich damit zu beruhigen.«
Moreland räusperte sich. Nach einer langen Pause sagte er: »Ich bin dir keine Erklärung schuldig.«
Darauf lief es immer hinaus. Er hütete seine Überlegenheit mit solch unbeugsamer Hingabe. »Ich habe dich nie um etwas gebeten«, sagte James grimmig. »Aber du hättest es mir trotzdem sagen können. Stattdessen hast du ungerührt zugesehen, wie ich mich in meinen schauderhaften Vorstellungen gesuhlt habe.« Dabei musste er genau gewusst haben, welche Schreckensvisionen James von Kenhurst hegte. Immerhin hatten sie Stella in der ersten Anstalt gemeinsam besucht. Nur weil James darauf bestanden hatte, war sie überhaupt von dort verlegt worden. »Aber natürlich wolltest du es mir nicht sagen. Und zwar nicht, weil es unter deiner Würde wäre, deinen eigenen Sohn zu beruhigen, sondern weil es dir gefallen hat, am längeren Hebel zu sitzen – sogar in dieser Angelegenheit. Herrgott, Moreland – selbst wenn es um meine Ängste um meine Schwester geht. Und das ist es, was dich zu einem richtigen Mistkerl macht!«
Morelands
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