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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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zupfte Lenz an seinem Schnurrbart und sah neugierig zu Eschenbach: »Wie hat es dir eigentlich gefallen, so als Banker, meine ich?«
    »Pah!«, machte der Kommissar und trank einen weiteren, kräftigen Schluck. »Rückblickend muss ich sagen: Es hat sich dort keine Sau für meine Arbeit interessiert. Nicht einmal Banz, wenn ich’s genau nehme.«
    »Für den warst du auch nur ein Feigenblatt«, sagte Corina.
    »Ein Ersatzfeigenblatt«, korrigierte Kathrin nun ihre Mutter. »Für den armen Dubach, der zu diesem Zeitpunkt im Keller hauste.«
    »Im Tresor«, gab Corina zurück. »Banken haben keine Keller.«
    Eschenbach, der sah, dass sich ein kleiner Disput zwischen seinen beiden Frauen anbahnte, rief den Kellner herbei. »Es soll nun jeder sein Essen bestellen.«
    Während sie warteten, ließ Ewald Lenz, um die etwas angekratzte Stimmung zwischen Mutter und Tochter zu lockern, eine seiner Ausführungen vom Stapel, die das besondere Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auslotete.
    »Der interessanteste Punkt in allen Mitarbeiterumfragen, die ich gelesen habe, ist der: Die Angestellten haben das Gefühl, dass man sie nicht ernst nimmt … dass man sie spüren lässt, wie ersetzbar sie in Wirklichkeit sind.«
    »Blödsinn«, sagte Eschenbach. »Mir ist es egal, ob sich jemand für mich interessiert.«
    »Ist es dir nicht!«, sagte Corina streng. »Sonst hättest du das vorhin erst gar nicht erwähnt.«
    Eschenbach zuckte etwas hilflos mit den Schultern und sah zu Lenz, der den Ball wieder aufnahm:
    »Den modernen Angestellten muss man verhätscheln!«
    Nun meldete sich Kathrin wieder: »Er will geliebt werden. Das meint übrigens auch der Abt vom Kloster Einsiedeln. Ich hab das im TagiMagi gelesen.«
    »Weil er eine Memme ist!«, brummte Eschenbach. Er war froh um die etwas schräge Diskussion, die der Alte angezettelt hatte. Sie bot Ablenkung von den Gedanken, die sich in seinem Kopf eingenistet hatten. Wie stand es um die Wahrheit? Was war wirklich geschehen, in der Nacht, als Jakob Banz getötet wurde?
    »Nein!« Lenz setzte sich nun kerzengerade auf. Mit durchgestrecktem Rücken und steifem Hals, als säße er auf einem Pferd, verkündete er: »Es ist viel schlimmer: Er wird zu einer Memme erzogen. Ist euch schon einmal aufgefallen, dass die heutigen Kinder überhaupt keinen Schulweg mehr haben? Die Mütter bringen sie direkt ins Klassenzimmer!«
    An dieser Stelle gab es einen lauten Seufzer von Corina, von dem sich Lenz allerdings nicht beeindrucken ließ.
    »Und wenn die Mütter arbeiten, dann bringen die Großmütter die Kinder zur Schule … oder, was noch schlimmer ist: die Nanny!« Beim Wort Nanny (das er mit a und nicht wie im Englischen mit ä aussprach) schlug sich der Alte einmal kräftig mit beiden Händen auf die Schenkel.
    Rosa, die bisher still zwischen Eschenbach und Lenz gesessen hatte, lachte.
    »Das alles ginge ja noch«, fuhr Lenz mit Schwung fort. »Wenn die wenigstens zu Fuß kämen. Aber die fahren vor … mit Karren, die früher als Dreizimmerwohnungen durchgegangen wären. Hier unten ist so eine Straße … Da kommst du kurz vor acht nicht mehr durch, weil’s aussieht wie auf dem Nord­ring.«
    »Die Eltern haben Angst!«, warf Corina ein, und Rosa sagte:
    »Es passiert ja auch so viel Schreckliches auf dem Weg zur Schule.«
    Eschenbach grinste in sich hinein.
    Lenz war nun richtig in Fahrt gekommen.
    »Allerdings, Angst! Und dazu kommt noch schlechtes Gewissen. Das sind heutzutage die Erziehungsgrundlagen … Und mit dem Schulweg, den es nicht mehr gibt, hat man das letzte Abenteuer aus dem Kinderalltag entfernt. Ich bin regelmäßig verprügelt worden auf meinem Schulweg und hab andern die Zähne ausgeschlagen …«
    Kathrin nahm ihren iPod hervor und steckte sich die Stöpsel in die Ohren.
    »Da hast du’s«, sagte Corina vorwurfsvoll zu Eschenbach, so als hätte er Kathrin daran hindern müssen, sich in ihre ganz eigene Welt davonzuschleichen. »Sie hat in Vancouver Freunde gefunden, die sind alle auf Facebook.«
    »Das Time Magazine hat Mark Zuckerberg zum Mann des Jahres gewählt«, sagte Rosa. »Richard Stengel, der Verleger des Magazins, begründete die Wahl mit den Worten: ›Facebook erreicht 500 Millionen Menschen und hat sie miteinander verknüpft.‹«
    Lenz rümpfte die Nase: »Das ist doch genau so ein Réduit, wie wir es hatten. Und dort hocken die jetzt und verbrauchen Milliarden von Gigawatt Strom! Hüten die einander die Kinder? Oder gehen sie zusammen

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