Rütlischwur
Kapo.
Armin Indergand, Chef der Abteilung Sicherheit bei der Schwyzer Behörde, begrüßte Eschenbach beim Schiffssteg: »Sieht schlecht aus, habe ich gehört.«
Der Kommissar nickte.
»Wir bringen euch zurück«, sagte Indergand.
»Ich werde zusammen mit Bruder John zurück ins Kloster fahren«, meinte Eschenbach und hielt seinen Arm um Johns Schultern.
»Es geht schon«, sagte der Bruder.
Als die Suche wegen des Unwetters hatte abgebrochen werden müssen, war John mit dem Steward nochmals zurück in den Salon gegangen, um die Urne mit Ernests Asche zu holen. Seither trug er sie bei sich wie ein kostbares Geschenk. »Ich möchte jetzt gerne eine Weile allein sein.«
Etwas mutlos und ohne viele Worte verabschiedeten sich Eschenbach und John. Sie wurden von je zwei Polizeibeamten in getrennten Wagen nach Hause gefahren.
Am nächsten Morgen stand Eschenbach früh auf. Mit dem ersten Gedanken war das Unglück vom Vortag wieder da. Es war kurz vor sieben Uhr. Er würde noch mindestens vier Stunden warten müssen, bis es Sinn machte, wegen Judith bei den Innerschweizer Kollegen anzurufen. Dann erinnerte sich der Kommissar, dass Indergand ihn anrufen wollte, im Fall, dass sich etwas Neues ergeben hätte. Oder auch sonst, hatte er gesagt.
Es war nicht zum Aushalten. Der Kommissar machte sich ein kleines Frühstück. Der Tisch auf der Terrasse war feucht. Offenbar hatte es auch hier geregnet. Trotzdem wollte er draußen sein, tief durchatmen und hoffen. Denn wenn Judith tot war, würde vermutlich auch die Wahrheit zum Fall Banz nie wirklich ans Licht kommen.
Kein gutes Gefühl war es, das den Kommissar an diesem Tag begleitete. Und es wurde nicht besser, als er um halb eins Indergand erreichte.
»Ein Amulett haben wir gefunden«, berichtete der Polizeibeamte. »An einem schwarzen Gummiband. Es hatte sich an einem der Felsabstürze verfangen, in ungefähr fünfunddreißig Metern Tiefe. Ihre Kollegen in Zürich meinen, es gehöre der Vermissten.«
»Ja«, sagte Eschenbach.
»Gibt es Familienangehörige, denen wir es zuschicken könnten?«
»Nein.« Eschenbach überlegte. Er dachte an John und daran, dass es wohl besser war, wenn er gleich ins Kloster führe, um dem Bruder die Nachricht persönlich zu überbringen.
»Schicken Sie das Amulett an Bruder John, ins Kloster Einsiedeln.«
»Nachname und Adresse?«
»So wie ich es gesagt habe, das reicht. Und mit der Postleitzahl … aber die weiß ich nicht auswendig.«
»Die haben wir.«
Wenigstens das, dachte der Kommissar und beendete das Gespräch. Danach machte er sich auf den Weg. Auch wenn es keine schöne Aufgabe war, Eschenbach war froh um diesen Botengang ins Kloster. Was hätte er sonst tun sollen mit der Ewigkeit, die vor ihm lag. Bis abends Kathrin und Corina auf dem Flughafen in Zürich-Kloten landen würden.
Am nächsten Tag schliefen seine zwei Frauen bis in den späten Vormittag hinein. Eschenbach war froh, seine kleine Familie wieder beisammenzuhaben. Bis tief in die Nacht hatten sie auf dem Balkon gesessen, in Corinas Wohnung im Seefeld. Und am Morgen, auf seinem Morgenspaziergang zu Sprüngli, um fürs Frühstück einzukaufen, dachte der Kommissar über seine letzte Begegnung mit John nach.
Wie hatte der Bruder auf die Nachricht reagiert, dass man außer dem Amulett nichts gefunden hatte? Es war der springende Punkt gewesen, auf den sich der Kommissar bei seinem Besuch im Kloster konzentriert hatte. Er hätte es bestimmt gemerkt, wenn John ein Lebenszeichen von Judith erhalten hätte. Insgeheim hatte der Kommissar sogar auf ein solches Zeichen gehofft. Der Mönch war in Eschenbachs Augen kein guter Schauspieler.
Aber so wie es schien, war der letzte Funken Hoffnung erloschen. Apathisch hatte John ihm gegenübergesessen. Und als sie noch einen kurzen Spaziergang hinauf auf den Hügel hinter dem Kloster gemacht hatten, war John schweigsam gewesen.
Am Abend ging Eschenbach mit Corina und Kathrin zu Gabriel in den Schafskopf. Als sie ins Lokal kamen und wie gewohnt auf den hintersten Tisch zusteuerten, staunte der Kommissar nicht schlecht: Romeo und Julia saßen da und tuschelten.
Oder küssten sie sich gar?
Weil Corina laut »Hallo, Rosa und Ewald« rief, konnte sich Eschenbach nicht ganz sicher sein. Denn die beiden schossen von ihren Stühlen auf und winkten verlegen.
»Ich dachte, du hast eine Freude, wenn ich sie einlade«, sagte Gabriel.
Sie setzten sich.
Gabriel brachte Wein und Gläser. Nachdem sie sich alle zugeprostet hatten,
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