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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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in Judiths Gesichtsausdruck bemerkt und wusste um den Ernst der Lage. Aber wie konnte er ihr glauben?
    Von den vielen Verhören, die der Kommissar in seiner Laufbahn geführt hatte, wusste er, dass die Wahrheit oft bis zum Schluss verborgen blieb und erst herausbrach, wenn die Person, die er befragte, eingekesselt war, in einer Ecke, aus der keine Lüge mehr herausführte. Wenn er Judith ihre Geschichte nun abkaufte, würde er den Druck aufheben. Dann gäbe es wieder Fluchtwege, und er würde die Wahrheit vielleicht nie erfahren.
    »Du glaubst mir nicht.« Judith sah ihn enttäuscht an.
    Eschenbach hob die Schultern. »Jakob Banz wurde erschossen, Judith. Von hinten, ein präziser Schuss ins Genick. Wie sollte ein zittriger alter Mann diese Tat durchführen? Und wie solltest du es, wie du sagst, aus Notwehr getan haben, mit einem Amulett? Eine zierliche kleine Frau gegen einen Goliath wie Banz?«
    Judith senkte ihren Blick. »Ich sehe dein Problem«, murmelte sie. »Du bist wenigstens ehrlich.«
    Einen Moment sagte keiner der beiden etwas. Dann glitt Judith von der Reling hinunter und kam auf Eschenbach zu. Sie umarmte ihn – und dann, unvermittelt, kurz und heftig, küsste sie den Kommissar auf den Mund.
    »Ich hab dir erzählt, wie’s wirklich war«, murmelte sie. »Weil du’s wissen wolltest. Du hast mich danach gefragt. Ich hätte auch schweigen können.« Sie löste sich von ihm. »Ernest hat mich ja entlastet … glaubhaft entlastet. Kein Hahn kräht mehr danach.« Judith strich ihr feuchtes Haar aus der Stirn. »Aber weil du mir das mit Ernest erzählt hast, dass er mein Vater ist … Ich wollte, dass auch du die Wahrheit kennst.«
    Noch immer etwas benommen von Judiths Kuss, stand Eschenbach da und nickte. Der Dampfer hatte sich der Anlegestelle auf ein paar hundert Meter genähert. In Kürze würden sie anlegen.
    »Gehen wir zurück«, sagte er.
    Sie hatten das Deck in Richtung Mittelschiff beinahe überquert, als Judith noch einmal stehen blieb. »Wenn ich einen Menschen sehe, dann schlägt sich seine Aura in einer Karte nieder … Keine Ahnung, warum das so ist.«
    Etwas verwundert hob Eschenbach das Kinn.
    »Ich seh’s einfach.«
    »Bei mir auch?«
    Judith nickte. »Rate mal.«
    Eschenbach dachte über diese seltsame Sache nach. Dabei rea­lisierte er viel zu spät, was passiert war. Judith hatte ihm einen Schubs gegeben, und jetzt, nachdem er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war sie bereits zu weit entfernt. Sekunden später, auf der Reling stehend, blickte Judith zurück. Sah ihn noch einmal an: Dann sprang sie.

Kapitel 34
    Weil er eine Memme ist
    K ein Schrei war zu hören.
    Als Judiths gestreckter Körper drei Meter weiter unten kopfüber in die Wellen eintauchte, erklang kaum ein Geräusch. Der Kommissar war zur Reling gerannt und blickte angestrengt aufs Wasser. Judiths Kopf kam wieder zum Vorschein. Sie sah zu ihm hoch. Die schwarzen Haarsträhnen klebten auf ihrem Gesicht.
    Das Schiff hatte etwas an Fahrt verloren, lag nun etwa zweihundert Meter vom Steg entfernt.
    »Mach keinen Unsinn«, schrie er.
    Einen Moment sah es so aus, als winke sie ihm, bevor sie mit kräftigen Zügen direkt auf das Schaufelrad des Dampfers zu­schwamm.
    Eschenbach schrie wieder und wieder in Richtung des schwimmenden Körpers.
    Aber Judith beachtete ihn nicht.
    Angestrengt und entsetzt von der Vorstellung, wie die mächtigen Stahlpranken Judith erfassen und in die schäumende Gischt drücken würden, stand Eschenbach an der Reling. Gebannt starrte er auf die Stelle, wo das schwere Metall durchs Wasser pflügte und die Wellen mit Getöse auseinanderriss. War­um tat Judith das?
    Eschenbach verlor den schwimmenden Körper aus den Augen. Er begann sich auf das zu konzentrieren, was er hörte. Rauschen! Die Gischt und der Wind. Oder war es doch ein Schrei gewesen, der im Getöse des aufgewühlten Wassers untergegangen war?
    Der Kommissar rief um Hilfe.
    Wie es schien, hatte nun auch der Kapitän den Vorfall bemerkt. Ein dröhnendes Hornsignal ließ Eschenbach zusammenfahren.
    Weil das Schiff noch immer in Fahrt war, entfernte sich die Stelle, die Eschenbach mit den Augen fixiert hatte. Der Kommissar rannte aufs Hinterdeck. Doch auch im bewegten Kielwasser kam Judiths zierlicher Körper nicht mehr zum Vorschein.
    John kam herbeigerannt und rief: »Was um Himmels willen ist passiert?«
    In kurzen Sätzen schilderte Eschenbach den Vorfall. Er blickte dabei immer wieder auf den See, in der Hoffnung, er könne

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