Ruf der Daemmerung
herumzureiten. Ahi war jung und er würde altern. Ob im selben Rhythmus wie Viola, das musste die Zeit zeigen ... Sie hätte fast über diesen Gedanken gelacht. Das klang ja, als wäre sie sicher, dass ihre Leben weiter miteinander in Verbindung blieben ...
»Und das mit der ... hm ... ›Lebenskraft‹ ...«, zwang sie sich schließlich, ihren Fragenkatalog weiter abzuhandeln. »Könnt ihr die nur von Menschen nehmen oder vielleicht auch von - Tieren?«
Ahi runzelte die Stirn. »Von den Kleinen Seelen? So wie ihr es tut, wenn ihr sie tötet und esst - obwohl es gar nicht nötig wäre, da ihr das Fleisch zum Leben nicht braucht?« Seine Stimme klang fast streng.
Viola unterdrückte ein hysterisches Kichern. Unterhielt sie sich hier wirklich mit einem Wesen, das einem Seeungeheuer am nächsten kam, über vegetarische Ernährung?
»Zum Beispiel«, antwortete sie, ohne sich auf weitere Diskussionen über richtig und falsch einzulassen.
Ahi schüttelte den Kopf. »Es würde nicht lange vorhalten. Das, was wir den Menschen nehmen ... Du sagst immer Seele, aber das ist es nicht. Es ist mehr - na ja, wir sagen bacha - am ehesten wäre das Lebens.«
»Lebensenergie?«, versuchte es Viola.
Ahi nickte. »Ja. Das ist ein so neues Wort ... Aber es trifft mehr oder weniger den Kern. Eine Seele hat jeder. Und man kann sie auch nicht - nehmen. Aber bacha ... bacha ist ... Die Kleinen Seelen haben weniger davon. Sie sind ... gelassener ...«
Viola lauschte gespannt.
»Und es wäre auch ...« Ahi suchte nach Worten. »Also die Kleinen Seelen würden nicht zu uns kommen. Wir müssten sie zwingen ...«
»Ihr zwingt die Menschen auch!«, beharrte Viola. Ahis dauernde Rechtfertigung mit dem freiwilligen Kommen seiner Opfer machte sie immer noch wütend. »Und erzähl mir jetzt nicht wieder, dass sie den Tod eigentlich verdienen ...«
»Aber es ist schon so ... «, meinte Ahi gequält. »Das ist auch der Grund, weshalb wir ... auf diese Art jagen. Die Seelen, die das Kelpie unterwerfen wollen, haben meist mehr bacha als ... na ja, als gute Menschen wie deine Freundin Shawna ...«
Viola verspürte wieder einen Stich der Eifersucht. Aber seine Argumentation war nicht ohne Logik. Sie erinnerte sich nur zu gut an die durchdringende Stimme Louise Richardsons und die Art, wie sie Mann und Kinder im Wohnmobil und auf dem Campingplatz herumgescheucht hatte. Zweifellos hatte sie mehr Energie gehabt als die freundliche, geduldige Shawna.
»Und ich?«, fragte Viola - und es klang sehr viel dringlicher, als es eigentlich sein sollte. An sich hatte sie wissen wollen, wie gefährdet sie selbst und ihre Familie wären, wenn sie den Kontakt zu den Kelpies aufrechterhielt. Aber jetzt ging es ihr mehr darum, zu erfahren, wo Ahi sie einordnete. Bei den guten, aber ziemlich lebensuntüchtigen Menschen der Sorte Shawna oder bei den energiegeladenen, aber doch fragwürdigen Typen wie Louise Richardson?
Ahi lächelte. »Du bist sicher, Viola, das habe ich doch schon gesagt. Du trägst schließlich mein Geschenk ... Nur schon wieder nicht auf der Haut ...« Er schüttelte nachsichtig den Kopf.
»Den Amethyst?«, fragte Viola, zu verblüfft, um genauer nachzuhaken. Schließlich war dies keine wirkliche Antwort auf ihre Frage. »Du meinst, er ist so was wie ein Amulett?«
Ahi nickte. »Niemand von uns wird dich anrühren, wenn du ihn am Körper trägst.«
Viola runzelte die Stirn. »Sicher? Auch dann nicht, wenn derjenige zum Beispiel ... ziemlich wütend auf dich ist? Und es absolut nicht in Ordnung findet, dass du hier mit einem Menschenmädchen herumläufst?«
Ahi griff nach ihrer Hand und sie ließ es zu. Sofort durchflutete sie wieder dieses Gefühl des Fließens, des Austausches, des Nehmens und Gebens. Ahi schien derzeit voller Energie zu sein, und die seine schien mit der ihren zu tanzen. Die Berührung war belebend - ja berauschend ...
»Das hat nichts mit mir zu tun. Es ist eher ... der Stein bindet deine bacha und deine nama. Nama nennen wir die Seele. Der Amethyst macht sie unabhängig vom Körper. Würde man die bacha nehmen, müsstest du trotzdem nicht sterben. Es wäre, als würdest du schlafen ...«
»Ich fiele ins Koma?«, erschrak Viola. »Während mein Geist kraftlos irgendwo herumirrt?«
»In ... äh ... gewisser Weise ...«, murmelte Ahi.
»Vielen Dank«, bemerkte Viola. »Cooles Geschenk.«
Ahi lachte. »Wie gesagt, es schützt dich. Und nun hör auf, ständig zu fragen. Warum nimmst du mich nicht als das, was ich bin?
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