Ruf der Daemmerung
keinen solchen Unsinn, Alan!«, unterbrach ihn Ainné scharf. Die Trauung war offensichtlich ein Streitpunkt. Ainné und Bill waren streng katholisch, aber Alan ging nicht zur Kirche. Viola hatte während der letzten Monate häufig mit angehört, wie die zwei sich um die Taufe des kommenden Kindes stritten. Die stand nun natürlich an. Und womöglich taufte der Priester kein Kind aus einer nicht kirchlich geschlossenen Ehe. Viola wusste das nicht und es war ihr auch egal. Aber sie empfand immer noch eine Art Schadenfreude, wenn Ainné und Alan sich stritten. Wobei sich Ainné im Übrigen meistens durchsetzte. Irgendwann gab Alan grundsätzlich nach und so stand demnächst sicher auch eine Taufe an. Wenn nicht gar eine Hochzeit!
Ainné wollte ihren Sohn jetzt stillen, und Shawna versicherte ihr noch einmal, wie hinreißend sie den Kleinen fände. Viola wollte dagegen endlich nach Hause und schließlich riss sich auch ihr Dad widerstrebend los. Viola und Shawna hatten am nächsten Tag Schule. Es ging nicht, dass er sie erst nach Mitternacht nach Hause brachte.
Viola lag also um elf im Bett, aber trotz des langen Tages, der unruhigen Nacht davor und ihrer bleiernen Müdigkeit fand sie noch lange keinen Schlaf. Jetzt, da sie allein in ihrem Zimmer lag, ließ sie das Versprechen nicht los, das sie Ahi am Morgen gegeben hatte. Sie würde mit ihm in seine Welt im See gehen - und sie hatte nach wie vor keine Idee, wie sie das schaffen sollte, ohne Schaden zu nehmen - an Körper, Geist und Seele - bacha, nama und ... sie hatte keine Ahnung, wie die Amhralough ihre sterbliche Hülle nannten ...
10
Viola verbrachte praktisch den ganzen folgenden Nachmittag vor dem Spiegel. Dabei war es sicher Unsinn, einen Rock anzuziehen - die einzig wirklich angemessene Bekleidung, die ihr für dieses Unternehmen einfiel, war schließlich ein Neoprenanzug! Dennoch machte Viola sich endlos Gedanken um ihr Outfit und gab sich unendliche Mühe mit ihrer Frisur. Sie sollte weder zu brav noch zu aufreizend wirken. Das Beste wäre eine Flechtfrisur. Schließlich flocht sie ihr Haar nicht ganz - es war zu dicht und schwer für Zöpfe, und Viola fand auch, dass sie aus dem Zopfalter heraus war -, sondern zog sich einen Mittelscheitel und flocht nur zwei Strähnen rechts und links ihrer Schläfen. Die Zöpfe fasste sie dann am Hinterkopf zusammen, sodass sie ihr das Haar wie ein natürliches Stirnband aus dem Gesicht hielten. Aber im Wasser würden sie sich wahrscheinlich trotzdem lösen, wie damals bei Louise Richardson ...
Sie schauderte, wenn sie an Shawnas Schilderung der Leiche dachte: »Das Gesicht hab ich nicht gesehen, da war ihr Haar drübergefallen ...«
Aber das alles war Unsinn! Viola würde nicht ertrinken! Sie konzentrierte sich auf das Make-up - sie musste gut aussehen, auf keinen Fall wollte sie gegen Lahia abfallen! Und sie würde sich jetzt auf dieses seltsame Treffen vorbereiten wie auf jedes normale Date - oder wie auf einen Besuch zum Tee bei den Eltern ihres Boyfriends. Ansonsten würde sie verrückt werden!
Ahis Augen weiteten sich vor Bewunderung, als sie schließlich zum Treffpunkt hinter dem Bootshaus kam. Sie hatte einen weiten, grün-braun karierten Rock gewählt und einen Pullover in hellem Grün. Der verschwand allerdings weitgehend unter der Wachsjacke, es nieselte schon wieder. Viola dachte mit Galgenhumor, dass sie so wohl schon vor dem Tee bei den Amhralough wie eine nasse Katze aussehen würde.
Ahi streichelte allerdings bewundernd über ihr Haar und lächelte, als er den Amethysten wieder über ihrem Pulli um ihren Hals hängen sah.
»Du siehst wunderschön aus!«, sagte er andächtig. »Und der Stein leuchtet - das ist ein gutes Zeichen! Du bist eins mit ihm, er lädt sich auf mit deiner Kraft!«
Viola dachte bei sich, dass die Silberschmiedin ihn vielleicht einfach nur ein bisschen poliert hatte. »Muss ich ihn ... gleich nicht auf der Haut tragen?«, fragte sie unsicher.
Ahi nickte. »Sicher. Aber erst später, das hat noch Zeit. Wir müssen ein Stück gehen, du kannst hier nicht schlafen. Nicht auszudenken, wenn jemand dich fände! Wir brauchen einen verschwiegenen Ort.«
Der verschwiegene Ort war dann das Inselchen mit dem Sommerhaus, eine Meile vom Campingplatz entfernt. Es lag heute wie eine Zauberinsel im Zwielicht des verregneten Herbstnachmittags. Die Ruine darauf ragte wie ein Mahnmal der Vergänglichkeit in den verhangenen Himmel. Viola dachte an Horrorfilme und gruselte sich. Aber
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