Ruf der Daemmerung
seht, die ihr dann einfach in das Glas mit dem Frosch einbringt und es dann schließt ...«
»Aber warum?« Ahi ließ sich nicht abwimmeln. »Warum sollen wir den Frosch aufschneiden? Wissen wir nicht, wie er von innen aussieht?« Er schaute irritiert auf die Karte, welche die Organe des Tieres aufs Genaueste zeigte.
Miss Rourke verdrehte die Augen. »Ali, natürlich wissen wir, wie ein Frosch aufgebaut ist. Aber dies ist eine Übung. Ihr sollt selbst erfahren ...«
»Wie man tötet?«, fragte Ahi verwirrt. »Ich meine ... für Sie mag das eine Übung sein, aber die Kleine Seele ist hinterher tot.«
Shawna nickte eifrig.
»Können wir den Frosch nicht im Internet sezieren, Miss Rourke?«, versuchte Viola abzulenken. Sie musste sich dazu aus der faszinierenden Begegnung mit dem winzigen Geschöpf lösen, aber das war leicht. »Es gibt eine Seite dazu, ich hab's nachgesehen. Und es soll unheimlich wirklichkeitsnah sein ...«
Miss Rourke wirkte langsam verärgert. »Viola, dies ist kein Internetkurs, wir machen hier Biologie. Und die Grundlagen des Sezierens lernt man an Fröschen. Seit Urzeiten. Jeder Medizinstudent, jeder Biologiestudent macht seine ersten Erfahrungen mit einem Frosch ...«
»Man tötet tausende Kleine Seelen?«, fragte Ahi entsetzt. »Für nichts?«
»Alistair, ein Frosch hat keine Seele!« erklärte Miss Rourke. »Das ist sentimentaler Unsinn ...«
»Aber sie haben Angst!«, wandte Jenny ein und zeigte auf ihren Frosch. Sie wollte das Tier ebenfalls aus dem Glas holen, aber es floh vor ihr.
»Das ist keine Angst, das ist ein Fluchtreflex. Also können wir jetzt endlich anfangen? Wie gesagt, ihr nehmt das Chloroform - aber aufpassen, dass ihr nicht selbst dran riecht ...«
»Ich mache das nicht«, sagte Ahi ruhig. »Es ist etwas Böses. Und es ist überflüssig. Niemand lernt etwas dabei, niemandem wird dadurch geholfen. Das kleine Ding hat ja nicht mal genug bacha, um irgendwas zu nähren ...«
Miss Rourke schaute jetzt sehr verärgert. »Du redest völligen Unsinn, Alistair, ich nehme zu deinen Gunsten an, dass es am mangelnden Sprachverständnis liegt. Aber wenn du meinst, dass du nicht mitmachen möchtest, kannst du selbstverständlich gehen. Dies ist eine Arbeitsgemeinschaft, die Teilnahme ist freiwillig. Aber halt meinen Unterricht nicht länger auf!«
Ali stand auf, vorher fixierte er aber noch kurz die Kleine Seele auf Violas Hand, die sofort auf seine hinüberhüpfte. Viola konnte es kaum glauben. Vorhin hatte es noch Zufall sein können, aber jetzt wirkte der Frosch wie dressiert.
»Ich gehe dann auch.« Das war Shawna. Und das erste Mal, dass Viola irgendetwas wie Aufmüpfigkeit an ihr bemerkte. »Er hat recht. Es ist falsch.« Sie legte vorsichtig die Hand über ihren Frosch, obwohl sie vorhin sicher auch eine Verbindung hergestellt hatte. Allerdings traute sie ihr nicht. »Hab keine Angst, Kleiner ...«, wisperte sie dem Tierchen zu. »Wir finden einen hübschen Tümpel ...«
»Shawna, ich glaube es nicht!« Miss Rourke sah ihre bisherige Lieblingsschülerin fassungslos an. »Du kannst dich doch davon nicht anstecken lassen. Und um das Sezieren kommst du ohnehin nicht herum, du willst doch Medizin studieren ...«
Shawna zuckte die Schultern. »Bis ich studiere, dauert es noch ein paar Jahre. Bis dahin setzt sich vielleicht diese Internetsache durch, die Vio aufgetan hat. Das findet sich dann schon. Aber heute bringe ich niemanden um.«
»Ich gehe auch!«, meldete sich Jenny.
»Und ich.« Moira stand auf.
»Seid aber vorsichtig mit den Kleinen Seelen ...«, rutschte es Viola heraus. »Nicht irgendwo aussetzen, am besten geht ihr mit Ali, der weiß schon ...«
»Ihr könnt auf keinen Fall die Frösche mitnehmen ...« Miss Rourke stand vor den Trümmern ihrer Unterrichtseinheit. Die Einzigen, die noch bereit waren, ihren Frosch auseinanderzuschneiden, waren Hank und Howard. Allerdings kaum in der Absicht, irgendetwas zu lernen. Viola entzog ihnen beherzt das Glas mit dem glubschäugigen Versuchsobjekt und folgte den anderen hinaus.
»Shawna, das wird Folgen haben ... «, donnerte Miss Rourke ihnen nach.
Shawna seufzte. »Der Hopser kostet mich wohl gerade meine gute Bionote ... «, murmelte sie, während sie ihren Frosch vorsichtig die Schultreppe heruntertrug. »Aber was soll's. Jenny hat recht. Er ist süß.«
Die Schüler waren aufgedreht und voller Freude, als sie die Tiere schließlich in den Schlamm rund um einen Tümpel setzten, in dem vorher auch Ahi seiner
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