Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
machen.“
„Was meinst du denn mit dem Preis, von dem du immer sprichst?“, flüsterte Sophie, der bereits schwante, dass ihr die Antwort bestimmt nicht behagen würde.
Abermals seufzte Melusine und blickte gedankenverloren zu Boden. „Die Gabe des zweiten Gesichts gibt es nicht umsonst“, erklärte sie schließlich. „Dessen musst du dir bewusst sein, bevor du deine Entscheidung fällst. Sei dir auch darüber im Klaren, dass die Welt ihren Tribut dafür fordern wird, dass du die seherische Gabe besitzt.“ Sie lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Behältst du es aber für dich, dass du die Gabe besitzt, wird sie verwelken und vergehen.“
Als sie wieder aufschaute, war ihr Blick so scharf, dass er Sophie schier gefangen nahm.„So höre nun, wie dein Vermächtnis dich auf zweifache Weise bindet. Solltest du die Gabe benutzen, wirst du Verfolgung leiden. Leugnest du sie hingegen, wirst du ihrer verlustig gehen. Der Preis aber wird dir niemals zurückerstattet.“
„Wie lautet denn nun dieser Preis?“, wiederholte Sophie heiser. Sie merkte, wie sich Melusines Finger über den ihren verkrampften. Ein Grauen beschlich sie, sodass sie sich bewusst dagegen wehren musste.
„Jede von uns trägt ein Zeichen der Gabe.“ Die Ältere lachte trocken in sich hinein. „Manche allerdings offener als andere, das gebe ich wohl zu.“
Hastig wies Sophie diesen Einwurf zurück. „Ich trage kein solches Mal.“
Melusine blickte auf und musterte sie mit ihrem hintergründigen Lächeln. „So, meinst du?“, raunte sie mit tiefer Stimme, sodass Sophie auf einmal angst und bange wurde. „Andere Zeiten, andere Sitten, Kind. So wie wir uns verstecken müssen, so sind vielleicht auch unsere Zeichen verborgen.“
Rasch ließ sie sich auf die Knie nieder und zeichnete mit den Fingerspitzen einen Kreis in den weichen Uferboden, während Sophie ihr furchtsam zusah. Es folgten die Planeten mitsamt ihren Häusern sowie dem Aszendenten. Als sie fertig war, blickte sie Sophie gespannt an.
„Es ist mein Plan“, bemerkte Sophie, erkannte sie doch das erste Horoskop, das sie zu zeichnen gelernt hatte. Melusine nickte beifällig, zeigte dann mit dem Finger auf ihre Zeichnung und ließ Sophie noch einmal schauen. Zögernd sah Sophie auf die Stelle, auf welche der Finger so entschieden wies.
„Das ist das fünfte Haus“, stellte sie fest. Was das alles bedeuten sollte, war ihr allerdings ein Rätsel.
„Und was ist dort?“, forschte nun Melusine.
Sophie zuckte die Achseln. „Nichts“, sagte sie, denn auffälligerweise befanden sich keine Planeten in diesem Haus.
„Richtig“, wisperte Melusine. „Es ist nämlich das fünfte Haus, welches über dein erstes Kind herrscht.“
Entsetzt prallte Sophie zurück. „Das kannst du doch gar nicht wissen“, widersprach sie, von Todesangst erfüllt, als die Ältere nicht darauf antwortete.
Wies ihre Bemerkung etwa auf einen unfruchtbaren Leib hin? Ausgeschlossen! Sie war doch ansonsten jung und gesund. Allmählich aber wuchsen Zweifel in Sophie, sodass sie beinahe bereit gewesen wäre, eines Kindes wegen ihre übersinnliche Gabe aufzugeben.
„Der Preis wurde bereits entrichtet“, murmelte Melusine, als könne sie genau erkennen, was Sophie durch den Kopf ging.
Sophie wandte sich von der belastenden Skizze ab. „Nein“, entgegnete sie. „Nein, so kann es nicht sein.“ Ihre Stimme klang nun energischer. „Ich habe ganz und gar nicht den Wunsch, mich vor der Welt zurückzuziehen und für den Rest meiner Tage im Wald zu hausen.“ Sie wurde immer zorniger, und dass Melusine nichts zu sagen hatte, fachte ihre Wut nur noch an. „Und dabei hätte ich Hugues haben können“, fauchte sie und vollführte dabei eine allumfassende Bewegung mit den Armen.
Die Ältere nickte langsam, während Sophie zurückwich. „Ja, das hättest du“, stimmte sie zu, und bei ihren bekräftigenden Worten tat Sophies Herz einen Sprung. Sie würde schon, so nahm Sophie sich stumm vor, ihren Hugues bekommen! Und sie würde auch ihr Leben draußen, außerhalb des Waldes, verbringen, ob nun mit oder ohne das zweite Gesicht oder dessen vermaledeiten Kaufpreis!
„Ich werde zu ihm gehen“, teilte sie Melusine mit und wandte sich ab, um ihr Vorhaben gleich in die Tat umzusetzen.
„So triffst du also deine Wahl?“, rief ihre Lehrmeisterin ihr hinterher, während Sophie unbeirrt zurück zur Hütte ging. „Überlege dir gut, welchen Weg du gehst, mein Kind, ehe du alles fortwirfst! Willst du
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