Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
„Unverschämtheit!“
„Die Wahrheit zu sagen, das hat mit Unverschämtheit nichts zu tun“, fauchte Hugues zurück.
Ungeschickt krabbelte nun sein Vater von der Lagerstatt herunter und fuchtelte voller Wut mit der Faust herum. „Noch bin ich Herr dieses Gutes!“, wütete er. „Deine Schwester soll sich dieses lächerliche Vorhaben gefälligst aus dem Kopf schlagen! Und solltest du sie nicht dementsprechend überzeugen, dann werde ich dich enterben!“
Gespanntes Schweigen hing zwischen Vater und Sohn. Ungläubig sah Hugues dem Alten in die Augen. Ihm das gesamte Erbe zu verwehren, zumal nur der albernen Laune seiner dickköpfigen Schwester wegen, das war schon mehr als ungerecht. Trotzdem beschloss er zähneknirschend, sich vor seinem Vater zusammenzureißen. Einen Wutausbruch – nein, den wollte er ihm nicht gönnen. „Das kannst du nicht“, zischte er empört.
Der alte Griesgram schüttelte nur gelassen den Kopf. „Das kann ich sehr wohl, und das werde ich auch.“ Ein kaltes Leuchten erschien in seinen Augen, als er den Sohn ansah, wie um dessen Entschlossenheit zu prüfen.
Hugues begriff, wie ernst es dem Alten war. Im Augenblick würde er durch nichts von seinem Vorhaben abzubringen sein. Sein eigener Zorn verrauchte; seine Beine fühlten sich ganz schwach an. Er riss den Blick von seinem Vater los und richtete ihn düster zu Boden, zu beschäftigt mit den Empfindungen, die in ihm aufstiegen und ihn schier zu ersticken drohten.
Sein Vater, so seine Überlegung, würde Pontesse eher zugrunde richten, als dem Sohn das rechtmäßige Erbe zu übertragen. Zwanzig Jahre hatte Hugues sich darauf vorbereitet – nicht nur, um sich seines Erbtitels würdig zu erweisen, sondern auch, um das Anwesen am Leben zu erhalten. Nun sah es so aus, als wäre alles vergebens gewesen. Es gab viele Wege, um eine Übertragung des Erbes zu verhindern, und sollte sein Vater sich dies tatsächlich in den Kopf gesetzt haben, würde er Pontesse eher der Kirche vermachen, als es seinem Sohn zu überlassen.
Das alles war kaum noch zu ertragen. Hugues merkte, dass ihm in dieser Angelegenheit die Worte fehlten.
„Ich schaue einmal nach deinem Heiltrunk“, murmelte er leise, machte dann auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Tür hinaus. Das nachdenkliche Aufflackern in den Augen seines Vaters bekam er deshalb nicht mehr mit.
In Selbstgespräche vertieft, spazierte Sophie durch den ausgedehnten Kräutergarten der Burg, der gleich neben den Küchen lag. Leise sagte sie sich die Namen der Kräuter auf, dazu auch all ihre Wirkungen, die sie gelernt hatte. Sie brauchte etwas, um das Temperament des Burgherrn einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen, denn eins war klar: Ein heißblütiger Mensch war er allemal.
Was ihn so unleidlich machte, war die viele Flüssigkeit in seinem Gewebe, denn das brachte seinen natürlichen Gleichklang aus dem Lot. Also musste etwas Reinigendes her, um ihm das Atmen zu erleichtern. Die genaue Pflanze dafür kannte Sophie jedoch nicht, und deswegen wandelte sie nun über die Gartenpfade und betete auf der Suche nach der noch fehlenden Zutat ihre endlose Litanei herunter.
„Was treibst du da?“
Sophies Kopf zuckte hoch bei dieser unerwarteten Frage. Sie kam von Hugues’ jüngerer Schwester Justine, die Sophie anscheinend schon längere Zeit mit verschränkten Armen beobachtete.
„Ich suche nach der rechten Pflanze, um Eurem Herrn Vater eine Arznei gegen die Erkältung zu bereiten“, erklärte Sophie. In diesem Augenblick bemerkte sie zu ihren Füßen ein Büschel Ringelblumen. Stirnrunzelnd schaute sie darauf herunter und rief sich die Wirkung ins Gedächtnis. „Echtes Feuer ist es, beherrscht von der Sonne“, murmelte sie grüblerisch. „Am stärksten dann, wenn es gepflückt wird, sobald die Sonne im Zeichen des Löwen steht. Doch auch ein Liebeszauber ist es, ein Zeichen der Untreue obendrein.“ Kopfschüttelnd ging sie weiter. „Nein, das nützt mir nichts.“
„Eine Hexe bist du!“, rief Justine anklagend.
Bestürzt ob dieses unerwarteten Vorwurfs, blickte Sophie auf. „Nicht doch! Ich bin nur eine Heilerin“, stellte sie klar.
Unbeeindruckt kam Justine mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Sophie zu. „Doch, doch! Du murmelst ja einen Zauberspruch in deinem Singsang. Ich hab’s genau gehört.“
„Ach was, das war doch kein Zauberspruch“, wehrte Sophie entrüstet ab. „Ich versuche bloß, mich an die Eigenschaften der Pflanzen zu erinnern, damit ich die beste Wahl
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