Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Verdruss musste er feststellen, dass seine Standhaftigkeit ihr gegenüber doch nicht so unbeirrbar war, wie anfangs erhofft. Wahrscheinlich, so redete er sich ein, hatte sie vor, ihn mit List und Tücke an sich zu binden, indem sie sich ein Kind machen ließ.Diesem Verdacht aber folgte sogleich ein Gedanke, der wenig dazu beitrug, Hugues’ Unbeugsamkeit zu festigen: Wäre es denn so schlimm, wenn sie durch dich guter Hoffnung wäre?
Aber was würde der Gatte wohl dazu sagen? Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Die Idee, sein eigenes Kind könnte von einem anderen Mann erzogen werden, lag jenseits all seiner Vorstellungskraft. Und was kam da wohl noch auf ihn zu? Würde Sophie verlangen, dass er sich ihrem Gemahl stellte? Wieso reiste sie überhaupt ohne ihren Ehemann? Und wie kam es, dass sie noch Jungfrau war?
Dieser Wirrwarr aus Möglichkeiten und Verwicklungen überstieg seinen Horizont. Wie viel lieber war ihm da die Gesellschaft von Wesen, die ihn verstanden. Kreaturen mit schlichten, anspruchslosen Bedürfnissen.
„Ich … ich muss die Pferde versorgen.“ Gehetzt stammelte er kurzerhand die erstbeste Ausrede, die ihm in diesem Augenblick einfiel. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und flüchtete, ehe Sophie ihn daran hindern konnte. Draußen auf dem Gang stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Endlich frei!
Je dunkler es in der kleinen Kajüte wurde, desto mehr beschlich Sophie die Ahnung, dass Hugues möglicherweise nicht wiederkehren würde. Luc warf sich im Schlaf hin und her, worauf sie ihm geistesabwesend die Stirn abtupfte und sich immer wieder fragte, was sie denn verbrochen hatte, um das Missfallen des Ritters zu erregen. Den Erzählungen ihrer Brüder zufolge fanden die Männer im Allgemeinen am Liebesspiel durchaus Gefallen. Vielleicht war es bei Hugues anders.
Obwohl er sich nicht gerade wie einer benommen hatte, den man zu seinem Glück zwingen musste! Bei der Erinnerung an seine kosenden Lippen tat ihr Herz einen kleinen Sprung. Dieses Gefühl nicht noch einmal erleben zu können, das wäre in der Tat enttäuschend, grübelte sie gereizt und sah missmutig die vier Wände an, die sie umgaben.
Bleibt in der Kabine! Mit finsterer Miene nestelte Sophie an ihrem vormals so ordentlich geflochtenen Zopf und zwang sich, nicht auf ihren knurrenden Magen zu hören. Sie war ausgehungert, und falls Hugues nicht endlich mit etwas Essbarem kam, musste sie wohl oder übel doch die Kabine verlassen.
Schließlich brauchte auch der Junge etwas zu essen, wollte er wieder zu Kräften kommen. Und etwas frische Luft war sicherlich hilfreich, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Verstohlen hob sie den Türriegel an und lugte ins Halbdunkel des Ganges, wobei sie überrascht feststellte, dass niemand draußen Wache hielt. Inzwischen schlingerte der Segler schon heftiger als bisher, sodass Sophie sich an der Wand abstützen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Aus dem Laderaum unten im Bauch des Schiffes vernahm man das Stampfen von Pferden, dazu das dumpfe, beruhigende Murmeln einer Männerstimme. Hastiges Fußgetrappel drang herunter vom Oberdeck, sodass Sophie sich nun fragte, ob es wohl klug sei, sich aus dem Quartier zu wagen. Vielleicht sollte sie doch Hugues’ Anweisung folgen und bleiben, wo sie war.
In diesem Augenblick stöhnte der junge Luc kläglich auf, was Sophie wieder in ihrem Entschluss bestärkte, etwas Essbares aufzutreiben. Leise huschte sie ins Dunkel des Mittelganges. Wieder legte das Schiff sich auf die Seite, sodass Sophie mit voller Wucht gegen eine Wand geschleudert wurde, doch sie kämpfte sich unbeirrt vorwärts zu der Sprossenleiter, die in der Mitte des Ganges aufs Oberdeck führte.
Erst als sie die Leiter erklomm und über sich die Besatzung brüllen hörte, bemerkte sie zu ihrer Bestürzung, dass oben offenbar Unheil drohte. Plötzlich sah sie auch den gezackten Strahl eines Blitzes, der das Deck unerwartet in blendende Helligkeit tauchte, um dann genauso schnell zu verlöschen. Blinzelnd starrte Sophie in die nächtliche Finsternis, als das Schiff, das sie für so groß und robust gehalten hatte, von einem dröhnenden Donnerschlag erschüttert wurde.
Es dauerte eine Weile, ehe sie aus ihrer Starre erwachte und weiterkletterte. Die Lage an Deck war dramatisch. Regen peitschte die hölzernen Planken, machte sie glatt und rutschig, sodass Sophie, die immer noch auf der Leiter stand, sich entgeistert fragte, wieso sie das Unwetter unter Deck nicht gehört
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