Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
wie damals, wie ihm das Herz im Leib hüpfte, als sein Vater ihm das Füllen versprach und ihn aufforderte, ihm auch einen Namen zu geben. Noch genau entsann er sich an die trockene Bemerkung des Vaters, er habe eigentlich einen etwas originelleren Namen als bloß „Argent“ erwartet, zumal von einem Jüngling von achtzehn Jahren, der bereits im vollen Ritterstand war. Ein trauriges Lächeln breitete sich über Hugues’ Züge, als er sich an dies alles erinnerte. Doch von dem Tag an hatte das Pferd Silber geheißen – Argent.
Zum letzten Mal blickte er über die Schulter hinüber zu seinem Hengst. Dort stand er, der mächtige Grauschimmel, trügerisch ruhig, alle vier Beine fest am Boden, während Lucs kleineres Tier neben ihm unruhig hin und her tänzelte. Genauso bewährte sich Argent immer im Schlachtengetümmel, ein Vorbild an eiserner Zucht trotz aller Furcht – ein Anblick, den Hugues nun nicht länger zu ertragen vermochte. Er hatte getan, was er konnte, auch wenn es herzlich wenig war.
Hastig erklomm er die letzten Leitersprossen und ließ die Luke bewusst offen. Vor Tränen halb blind taumelte er den Gang hinunter zu seiner Kabine, wobei er sich einredete, dass sein stolpernder Gang gewiss am Schlingern des Schiffes lag und das Brennen in seinen Augen an der salzigen Seeluft.
Als er die Kabinentür aufriss, hockte Luc würgend und hustend auf seiner Koje. Verlegen sah der Junge ihn an, doch für höfliche Floskeln fehlte Hugues die Zeit.
„Kannst du laufen?“, fragte er knapp.
Mit blassgrauem Gesicht rappelte der Junge sich hoch. „Gewiss, Milord“, röchelte er tapfer. Hugues sah ihm jedoch an, dass er log, und im selben Moment fiel ihm auf, dass Sophie fort war.
„Wo ist die Dame hin?“, fragte er brüsk und legte mit unnötiger Heftigkeit seinen Waffengurt an.
Wenn diese verrückte Hexe aufs Oberdeck gegangen ist, erwürge ich sie!, dachte er grimmig. Vielleicht war sie bei dem schlingernden Schiff womöglich über Bord gefegt worden. Bloß das nicht!, flehte Hugues ängstlich und stieß ein Stoßgebet aus, dessen Inbrunst ihn selbst überraschte. Von ihnen dreien konnte nur er allein schwimmen, das wusste er. Da musste er das Letzte geben, um sie alle sicher an Land zu bringen.
„Ich weiß es nicht, Milord“, gestand sein Knappe, worauf Hugues’ Herz einen stolpernden Satz tat, der dem Schlingern des Seglers nicht unähnlich war. „Als ich aufgewacht bin, war sie weg.“
Mit einem herzhaften Fluch packte Hugues sich den Knaben auf die Schulter und machte sich mit ihm auf nach oben. Sollte das Schiff auf Grund laufen, bestand die beste Aussicht auf Rettung, wenn man sich oben an Deck befand.
„Milord, Euer Kettenhemd“, rief Luc noch und wies über Hugues’ Schulter auf den abgelegten Hauberk.
Doch Hugues schüttelte den Kopf und zwängte sich mit seiner Last durch den engen Durchlass. „Das schwere Ding ist uns nur ein Klotz am Bein“, antwortete er, wobei er sich der schwachen Hoffnung hingab, dass Sophie keine Dummheiten angestellt hatte. Insgeheim aber ahnte er schon, dass zu übertriebenem Optimismus wohl kein Anlass bestand.
Er sah sie sofort, als er das regennasse Deck betrat, und seiner Brust entrang sich ein Stoßseufzer der Erleichterung. Sophie hingegen schien angesichts des wütenden Sturms alles um sich herum vergessen zu haben. Den Kopf in den Nacken gelegt, bot sie dem niederprasselnden Regen das Antlitz dar; das lose Haar flatterte windgepeitscht um die Schultern, denn ihr Zopf hatte sich bei dem tosenden Sturm schon längst gelöst. Hemd und Beinlinge klebten ihr hauteng am Körper. Trotzdem lächelte sie, wie Hugues bestürzt feststellte.
„Dort ist sie!“, schrie Luc von seiner erhöhten Warte. Fast hätte Hugues gegrinst, denn die Stimme des Jungen spiegelte dieselbe Erleichterung, die auch er verspürt hatte. Vorsichtig tastete er sich auf den Masten zu, an dem Sophie sich festhielt. Immerhin hat sie so viel Weitsicht bewiesen, sich nicht an die Bordwand zu begeben, dachte er, als er an ihre Seite gelangte. Als sie ihn dort mit einem strahlenden Lächeln begrüßte, begann seine Zurückhaltung unter ihrem Entzücken bereits zu bröckeln.
„Ist das nicht herrlich?“, rief sie mit glänzenden Augen, und auch Hugues fing an, das tobende Gewitter auf einmal mit anderen Augen zu sehen. Bisher hatte er es lediglich als Bedrohung betrachtet, doch jetzt entlockte ihm der Blitz, der quer über den Himmel schoss, widerwillige Bewunderung, genau wie die
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