Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
mit untadeligem Ruf und ansehnliches Mannsbild wusste Hugues de Pontesse, dass er durchaus akzeptabel war – auch wenn Sophie mit ihren Hirngespinsten dies vielleicht ganz anders sehen würde.
Sei’s drum: Das alles mochte zwar stimmen, half ihm aber nicht, in dieser Nacht Schlaf zu finden. So schlich er sich im Morgengrauen verstohlen aus der Kammer, weil er sich einredete, es sei allerhöchste Zeit, sich um die Pferde zu kümmern.
„Ihr seht ja wunderschön aus!“, rief Luc begeistert und dermaßen schwärmerisch, dass Sophie gar nicht anders konnte, als zu lächeln.
„Danke, Luc, das ist sehr freundlich von dir“, antwortete sie und ließ sich von ihm einen Handkuss geben, als wäre er ein Aristokrat von Rang und Namen. Den ganzen Tag hatte sie wieder einmal allein mit ihrer Nadel verbracht. Da tat es gut, zu erfahren, dass das Ergebnis offenbar trefflich gelungen war.
Wie von selbst hob sich ihr Blick, um Hugues’ Reaktion zu überprüfen, denn seit die zwei an diesem Abend in die Kammer zurückgekehrt waren, hatte er noch kein Wort gesagt. Jetzt aber schaute er sie auf eine Weise an, dass ihr beinahe das Herz stehen blieb. Energisch trat er vor, doch Sophie wich keinen Schritt zurück, auch wenn ihr der Atem stockte.
Wäre sie doch mutig genug, ihm zu gestehen, wie sehr sie ihn an diesem Tag vermisst hatte!
Wortlos streifte Hugues seine Handschuhe ab und ergriff Sophies Hand, und als ihre Finger die seinen umschlossen, merkte sie, welche Kraft sich in ihnen verbarg. Auch fiel ihr diesmal deutlich auf, wie unterschiedlich ihrer beider Haut aussah – seine beinahe wie Leder, mit Resten von Schwielen am Daumen. Sie spürte ein Kribbeln am ganzen Körper und fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag hellwach und lebendig. Schon seine Gegenwart allein reichte, um in ihr das Verlangen nach ihm zu erwecken.
„Ja, so schön wie die Weiden zu Pontesse“, murmelte er geheimnisvoll, bevor er sanft mit den Lippen über ihren Handrücken fuhr.
Sophie erschauerte bei der Berührung, und als er in diesem Moment aufsah und ihrem Blick begegnete, schien es so, als hätte ihn ihre Reaktion völlig verwirrt. Sie schaute ihm in die Augen, als könne sie ihn dazu bringen, die Empfindungen, die in ihr aufflammten, zu erkennen. Allmählich wich seine Verwirrung einer Hitze, die der ihren gleichkam. Er drehte ihre Handfläche nach oben und drückte bewusst einen Kuss darauf, den Blick dabei weiterhin in den ihren versenkt. Diesmal war es Sophie, die die Augen schloss, so lustvoll war dieses Gefühl, als seine Zungenspitze über ihre Haut züngelte.
Tief nahm sie seinen Duft in sich auf, mahnte sich aber im Stillen, sich zurückzuhalten und ihn nicht wieder gleich in Angst und Schrecken zu versetzen.
Diese Nacht, so lautete ihr Vorsatz, würde sie nicht allein schlafen. Jedenfalls nicht, wenn es nach ihr ging.
„Hat Madame de Mauléon deinen Mantel fertig?“, murmelte Hugues.
Sophie war, als könne sie seinen Atem an der Schläfe spüren. „Aye“, brachte sie mühsam hervor und verkrampfte die Finger, um nicht nach ihm zu greifen. Mit angehaltenem Atem stand sie da, fest davon überzeugt, er würde sie nicht nur auf die Handfläche küssen, sondern auch auf eine viel aufregendere Stelle. Nach einem Augenblick, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam, gab er jedoch ihre Hand frei. Überrascht öffnete sie die Augen auf und sah zu ihrer Bestürzung, wie Hugues auf die Tür zustrebte.
„Dann nimm ihn schon“, warf er ihr schroff über die Schulter zu. Sophie stand da wie vom Donner gerührt, vollkommen verdutzt darüber, dass alles so ganz anders verlief, als sie es noch vor wenigen Augenblicken erwartet hatte.
„Zeit zum Speisen“, setzte er noch hinzu, da sie sich überhaupt nicht rührte.
Von Tränen der Wut halb blind, wirbelte sie verärgert auf dem Absatz herum, griff sich ihren neuen Umhang und warf ihn über die Schultern. Das sah den Männern wieder einmal ähnlich, dass sie als Erstes an ihren Magen dachten! Nur mit vollem Bauch würde er sich der Minne zuwenden, dann aber zweifelsfrei mit abgestumpftem Gefühl – wahrscheinlich vom Genuss billigen Rebenfusels.
Das Kinn hoheitsvoll gereckt, rauschte sie an Hugues vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er hält dich also für nicht begehrenswert ? Na, da mussten aber schon Maitag und Neujahr auf einen Tag fallen, ehe sie ihm je wieder schöne Augen machen würde!
Verdattert sah Hugues ihr nach, wie sie schwungvoll die Stiege hinunterschritt.
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