Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
beobachtete sie, wie er einen Krug Bier nach dem anderen orderte und jeden in einem Zug leerte. Was mochte er bloß im Schilde führen?
Als sie das Gasthaus schließlich verließen, stand der Ritter bereits merklich unsicher auf den Beinen. Die Tatsache, dass Luc ebenso überrascht über dessen Verhalten war wie sie, bot Sophie dabei nur wenig Trost, und der Gedanke, dass er sich wissentlich betrank, nur um seinen Verdruss über ihre Gegenwart hinunterzuspülen, verletzte sie sehr in ihrem Stolz. Da tat es auch nichts zur Sache, dass sie ihn nicht zurückweisen musste, weil er ihr sowieso keine Avancen machte. So mussten sie alle drei wohl ein beklagenswertes Bild abgegeben haben, als sie durch die stillen, verschneiten Gassen wankten, Sophie und Luc bemüht, den Ritter auf dem glatten Pflaster zu stützen. Sie konnten ihn ja schwerlich einfach liegen lassen.
„Da hast du dir einen schönen Abend ausgesucht für solchen Unfug“, murmelte sie gereizt, als Hugues auf eine besonders vereiste Stelle trat und sich schwer auf Sophie stützen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
„Vielleicht sollte ich etwas singen, damit uns der Weg leichter fällt“, lallte er vergnügt. Als sie argwöhnisch zu ihm aufsah, funkelten seine Augen vor unerwarteter Heiterkeit.
„Oh nein, Milord, nicht schon wieder“, rief Luc in gespieltem Entsetzen, sodass Sophie verwirrt von einem zum anderen blickte. Offenbar bezog sich der Junge auf einen alten Scherz, den sie jedoch nicht kannte.
„Jawohl, denn wo man singt, da lass dich ruhig nieder!“, brüllte Hugues aufgekratzt. Unwillkürlich musste Sophie lachen, als er dann tatsächlich ein Lied anstimmte.
Ihr Lachen währte indes nicht lange, denn Hugues verfügte über einen beeindruckend tiefen Bariton und konnte eine Melodie weit besser halten als in diesem Augenblick seine Balance. Sein Gesang drang bis in die hintersten Winkel der stillen Gassen, und obwohl einige Fensterläden krachend zugeknallt wurden, ertappte Sophie sich dabei, dass sie von seiner Ballade regelrecht verzaubert wurde.
Von Tristan und Isolde erzählte sein Gesang; eine noch nie gehörte Geschichte von einem unglückseligen Liebespaar, das offenbar dazu verflucht war, auf ewig getrennt zu sein. Strophe auf Strophe perlte ihm über die Lippen, und Sophie war voll der Bewunderung, dass er das alles auswendig kannte, ganz zu schweigen von seiner schönen Stimme. Sie lauschte so hingerissen, dass sie vor dem Haus des Kupferschmieds angelangt waren, ehe sie sich’s versah. Als sie verdutzt zusammenzuckte, hörte Hugues mit dem Singen auf und zwinkerte ihr vergnügt zu.
„Hatte ich nicht recht?“, fragte er mit einem schelmischen Ausdruck in den Augen.
Von einer Bierwolke getroffen, musste Sophie unwillkürlich husten. „Doch“, räumte sie naserümpfend ein und stupste ihn sacht auf die Tür zu. Hugues taumelte schwankend gegen den Türpfosten und hielt sich daran fest, als wolle er dort die ganze Nacht verbringen. Dann fixierte er seine beiden Gefährten mit vergnügtem Blick.
„Jetzt aber keinen Mucks!“, mahnte er in einem Flüsterton, der so laut war, dass er Tote aufgeweckt hätte. Gegen ihren Willen musste Sophie kichern.
„Das war eben ein Schlaflied für all die von der Plagerei ermüdeten Städter“, lallte er grinsend und wedelte unsicher mit dem Finger herum. „Eines Tages, meine Schöne, singe ich auch für dich. Ehrlich!“ Bei seinen Worten tat Sophies Herz einen Sprung, doch sie gab sich lieber keinen übertriebenen Hoffnungen hin, denn in seinem Zustand war er sich nicht bewusst, was er da faselte.
„Bekreuzigt Euch rasch, Sophie, denn das ist ein Fluch“, warf Luc scherzend ein. Lachend streckte Hugues einen Arm aus und zauste dem Bengel gutmütig den Schopf, bis ihm die Haare zu Berge standen.
„Ich glaube, wir schaffen dich besser nach oben, solange du noch einigermaßen laufen kannst“, unterbrach Sophie ihn lächelnd, worauf Hugues indigniert die Augenbraue hob.
„Luc“, rief er in gespieltem Erstaunen, „die Dame denkt wohl, ich sei betrunken! Hat man je eine solche Ungerechtigkeit vernommen?“
„Milord, lasst das lieber“, mahnte Luc drohend, doch da war Hugues bereits so schnell durch die Haustür verschwunden, wie man es von dem betrunkenen Ritter gar nicht erwartet hätte.
„Sie meint, ich käme nicht mehr die Stiege hinauf“, erklärte er dem Knappen hoheitsvoll und zwinkerte Sophie über die Schulter spitzbübisch zu. „Eine solche
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