Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Beleidigung darf nicht ungeahndet bleiben.“
„Milord!“, mahnte Luc abermals, doch da eilte sein Herr bereits im Laufschritt die Stufen hinauf. Entsetzt lief Sophie ihm hinterher, fest davon überzeugt, er werde das Gleichgewicht verlieren und stürzen. Doch er war schon mit einem triumphierenden „Ha!“ auf dem Treppenabsatz angelangt und wirbelte siegestrunken herum.
„Ja, Donner und Doria“, brummte der Knappe und flitzte nun ebenfalls die Stiege hinauf.
„Was sagst du nun, Sophie?“, fragte Hugues frohlockend und verneigte sich schwungvoll.
Im Dunkeln funkelten seine Augen, und schmerzlich wurde es Sophie bewusst, wie ihr das Herz nach dieser Hatz hämmerte. Ehe ihr aber eine gescheite Antwort einfiel, verwandelte sich der triumphierende Ausdruck auf Hugues’ Gesicht in Bestürzung. Gleichzeitig wurde Sophie von Luc heftig zur Seite gestoßen.
„Verzeiht, aber so endet es immer“, erklärte der Junge und entschuldigte sich für sein rüdes Verhalten, während Hugues einen Rülpser ausstieß, der tief aus dem Grund seiner Seele zu kommen schien.
Stumm vor Schreck musste Sophie mit ansehen, wie Luc seinen widerstrebenden Herrn und Meister quer durch die Kammer zerrte, bis Hugues sich schwer auf seinen Strohsack fallen ließ. Seine Augen wurden glasig, und Luc schleppte rasch den Ascheneimer vom Kamin heran. Während der Knappe dem Ritter die Stiefel auszog, machte der Herr reichlich Gebrauch von dem Kübel.
Nachdem seine Übelkeit abgeflaut war, wälzte Hugues sich auf den Rücken und fiel, den Arm über die Augen gelegt, sofort in Schlaf. Bald schon erfüllte sein Schnarchen die kleine Kammer. Mit einem zerknirschten Grinsen sah Luc zu Sophie hoch und zuckte die Achseln.
„An sich trinkt er selten – da macht es mir nicht viel aus“, erklärte der Bursche.
Sophie lächelte. „Jedenfalls kümmerst du dich rührend um ihn“, bemerkte sie. Sogar im Halbdunkel konnte man sehen, wie der Knabe bei diesem Lob rot wurde.
„Betrinken tut er sich eigentlich nur, wenn etwas nicht stimmt“, fuhr der Knappe mit gesenkter Stimme fort, indem er den Blick auf seinen Helden richtete, der nun seinen Rausch ausschlief. „Ich fürchte, die Botschaft der Regentin, welche er überbringt, kommt nicht allzu gut an.“
„Ja, daran wird’s liegen“, unterstrich Sophie bedrückt. Sie schloss die Tür und trat dann in die Mitte der kleinen Mansarde. Lucs Worte hatten jegliche Hoffnung, Hugues könne vielleicht ihretwegen so verwirrt sein, im Keim erstickt.
„Bei dieser Bierwolke traue ich mich nicht einmal, Feuer mit dem Feuerstahl zu schlagen“, bemerkte Luc stirnrunzelnd. Sophie musste lachen, aber dann merkte sie, dass es ihm ernst war.
„Stimmt“, betonte sie, schon etwas weniger nachdenklich. „Doch der Schnee macht alles so hell – das dürfte uns reichen.“
„Jawohl. Dann schlaft gut, Sophie.“
7. KAPITEL
Nachdem Sophie in dieser Nacht endlich eingeschlafen war, kehrte der Traum zurück, und als vor ihrem geistigen Auge der vertraute Küstenstreifen erschien, wehrte sie sich aufs Heftigste dagegen. Nein, nicht schon wieder!, flehte sie, als ihre Schritte sie zu jener ominösen Lichtung führten und sie immer deutlicher die eisige Kälte der Steine fühlte, je näher sie ihnen kam.
Entschieden verschloss sie die Augen vor dem Anblick, der sich ihr im Innern des Felsenkreises bot. Doch jene Mächte, die über ihren Schlaf herrschten, ließen sich nicht erweichen und zwangen Sophie dazu, doch hinzusehen. Als Erstes schweifte ihr Blick wie immer zu dem bis auf glühende Reste heruntergebrannten Feuer, und als sie sich endlich traute, auch die in den Mantel gehüllte Gestalt zu betrachten, sträubten sich ihr die Nackenhaare.
Wer würde sie diese Nacht begrüßen – Hugues oder die Frau? Sophie mochte kaum hinsehen, und als ihr Blick sich doch unaufhaltsam hin zu der Stelle bewegte, krampfte sich alles in ihr zusammen. Der Platz war leer! Erstickt hielt sie den Atem an, wirbelte herum und blickte forschend über die Lichtung. Vergebens.
Sie stand allein vor dem verglimmenden Feuer.
Hastig verließ sie den Steinkreis, doch auch das wild zerklüftete Ufer lag öd und verlassen da; nicht eine Menschenseele war zu sehen, und nur die wogende Brandung rollte unablässig gegen das Riff am Fuß der Klippen. Mondlicht fiel durch rastlos am Himmel dahinjagende Wolkenfetzen; Nebelschwaden umwallten das ganze Gestade, und über allem lag der frostige Hauch der Riesensteine.
Allein.
Sophie wurde
Weitere Kostenlose Bücher