Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
zwar äußerlich ruhig wirkte, innerlich aber angespannt war, spürte Sophie durchaus, und ebenso wie Lucs abergläubisches Gehabe gab ihr dies Rätsel auf. Sie selbst empfand den Wald nämlich keineswegs als unheimlich, sondern vielmehr als wohltuend, und sie musste sich regelrecht zusammennehmen, sonst wäre sie womöglich vom Weg abgewichen, um die verborgenen Geheimnisse von Brocéliande zu erforschen. Ihr war, als habe sie nie zuvor so viele unterschiedliche Grünfärbungen gesehen, solch eine Vielzahl von verschieden geformten Blättern. Wie gerne hätte sie sich die weißen Blümchen, die weiter weg vom Wegesrand in dichten Trauben standen, genauer angesehen. Deshalb hoffte sie auch, es möge Tage dauern, bis sie die andere Seite des Waldes erreichten.
Nach einer Weile mussten sie gezwungenermaßen rasten, um eine Stärkung zu sich zu nehmen und den Pferden etwas Erholung zu gönnen. Die drei Reittiere drängten sich in der Mitte des ausgetretenen Pfades zusammen und wirkten fast genauso ängstlich wie Luc und Hugues. Bei ihrem Anblick brach Sophie in Lachen aus, das hohl zwischen den Bäumen verhallte – ein Geräusch, bei dem Luc schmerzhaft das Gesicht verzog.
„Sophie“, raunte er schreckhaft, „Ihr dürft die Hexen nicht wecken.“
Erneut musste Sophie ob dieser Hasenfüßigkeit lachen. „Luc, es ist doch nur ein Wald, und noch ein erstaunlich friedvoller obendrein“, schalt sie und sah dabei, wie Hugues nachdrücklich nickte.
„Ganz recht“, bekräftigte er entschieden. Nach Sophies Gefühl versuchte er wohl, nicht nur den Knappen, sondern auch sich selbst zu überzeugen. „Hier gibt’s keine Hexen – hier nicht und auch sonst nirgendwo“, setzte er hinzu und biss herzhaft in seinen Brotkanten, als wolle er so seine Einstellung unterstreichen. Zuerst sah es so aus, als wolle der junge Bursche ihm widersprechen, doch sein Meister brachte ihn sofort mit einem herrischen Blick zum Schweigen. Seufzend fügte sich der Junge, knabberte lustlos an seinem Kanten herum und beäugte argwöhnisch den Wald ringsum.
„Mir ist, als hörte ich Wasser rauschen“, bemerkte Sophie ein Weilchen später und legte den Kopf schräg, um zu lauschen. „Richtig, gleich drüben auf der anderen Seite, abseits des Weges.“ Sofort griff sie nach dem Zügel ihres Zelters, um das Tier zu dem vermeintlichen Bächlein zu führen.
„Sophie!“, schrie Luc erschrocken. „Geht bloß nicht vom Weg ab!“
Sophie erstarrte mitten in der Bewegung und sah den Knappen verdattert an. „Du scherzt wohl“, fauchte sie bissig.
Der Junge aber schüttelte nur wild mit dem Kopf und vergaß in seiner Aufregung sogar das Kauen. „Es heißt, dass jene, welche in Brocéliande vom Weg abkommen, nie wieder zurückfinden“, flüsterte er mahnend und warf dabei verstohlene Blicke zum Waldrand beiderseits des Pfades, als könne er gleichsam jene verlorenen Seelen erkennen, die ruhelos durch den düsteren Tann irrten, kaum eine Armeslänge entfernt.
„Solch einen Unfug habe ich ja mein Lebtag noch nicht gehört“, gab Sophie lachend zurück und sah Hugues an, in dessen Blick auch Zweifel lagen.
„In so einem Forst kann man sich leicht verirren“, warf er unverbindlich ein, sodass Sophie sich unwillkürlich fragte, ob ihm Lucs Schauermärchen wohl wirklich so einerlei waren, wie er immer tat. „Und Töne können täuschend weit tragen.“
„Mag sein“, räumte Sophie widerwillig ein. „Möglich, dass es weiter entfernt ist, als es sich anhört, denn man sieht überhaupt kein Wasser glitzern.“
Hugues kam zu ihr herüber und horchte ebenfalls eine Weile in die von Sophie angegebene Richtung. „Ja, ich höre es auch“, bekräftigte er und spähte nun stirnrunzelnd ins Dickicht. „Wenn es tatsächlich ein Bachlauf ist, wird er den Weg früher oder später ohnehin kreuzen.“ Er sah Sophie zerknirscht an. „Ich möchte lieber keine Zeit vergeuden, indem wir im Wald danach suchen.“
Sophie nickte, denn sie fand seine Erklärung vernünftig. Als sie aufsah, merkte sie, dass Hugues sie nach wie vor betrachtete. „Also bist du mir noch böse, weil ich dir folgte, um dich vor der Gefahr zu warnen?“, fragte sie leise.
Hugues fand die Frage offenbar erheiternd, denn es gelang ihm nicht ganz, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Schließlich grinste er unverhohlen. „Du kannst von Glück sagen, dass die Normannen allem Anschein nach von Brocéliande gehörte haben“, sagte er neckend. „Sonst müsstest du es nämlich
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