Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Pferde nicht aus dem Bachlauf saufen lassen.“
Offenbar neigt der Bursche dazu, einem Ärger zu bereiten, schoss es Hugues durch den Sinn. Konsterniert sah er den Jungen an, was nicht allein an Sophies Küssen lag, und zog instinktiv die Zügel an. Das Ross schnaubte empört, weil man ihm das Wasser verwehrte, obwohl es ihm direkt vor der Nase vorbeifloss. Hugues ließ seinen Gaul aber noch nicht trinken, sondern wandte sich erst an seinen Knappen.
„Warum denn nicht?“, fragte er barsch.
„Der Bach ist verzaubert“, konterte Luc, worauf Hugues erleichtert die Zügel fahren ließ. Er musste an sich halten, sonst hätte er wohl wieder verdrossen die Augen verdreht.
„In diesem Wasser gibt’s keinen Zauber“, erklärte er geduldig und stieg aus dem Sattel, um auch Sophies Reittier zum Saufen zu führen. Die Stute ließ sich auch nicht lange bitten, doch Luc hielt seinen Zelter noch immer zurück.
„Wenn sie daraus saufen, werden sie verhext“, flüsterte der Knappe heiser, „und dann rennen sie mit uns auf und davon in den dichten Wald.“
Hugues schüttelte den Kopf und griff nach den Zügeln von Lucs Zelter. „Ohne Wasser machen sie über kurz oder lang schlapp“, erklärte er lapidar.
Ruckartig riss Luc sein Pferd zurück, damit Hugues nicht auch noch nach ihm greifen konnte. „Ich darf ihn nicht saufen lassen!“, beharrte er gehetzt.
Seinem Herrn und Meister platzte allmählich der Kragen. Entnervt fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. „Jetzt überlege doch mal genau, Bursche!“, befahl er energisch und stellte zu seiner Genugtuung fest, dass der Knappe ihm tatsächlich das Ohr lieh. „Die Tiere sind den ganzen Tag hart gefordert worden und haben seit dem Morgen nichts zu saufen bekommen. Es ist Tierquälerei, ihnen da das Wasser zu verwehren, ob es nun verhext ist oder nicht.“
„Müssen wir dieses Wagnis denn unbedingt eingehen?“, wollte Luc nach einer langen Pause wissen.
Hugues nickte unmissverständlich. „Jawohl, sonst sind die armen Viecher bald nicht mehr imstande, uns zur anderen Seite von Brocéliande zu tragen.“
Diese Vorstellung schien Luc erst recht nicht zu behagen, sodass Hugues sich schon ärgerte, dass er nicht eher darauf gekommen war. Die Augen des Knappen flammten regelrecht auf vor Angst. Ohne ein weiteres Widerwort stieg er aus dem Sattel und führte den Zelter an den Bach, wo er dem durstigen Gaul beim Saufen zusah, die Stirn dabei sorgenvoll gefurcht.
Auch Sophie ließ sich nun vom Pferderücken gleiten und trank vor Lucs schreckensgeweiteten Augen aus der hohlen Hand, und zwar anscheinend ohne üble Nebenwirkungen irgendwelcher Art. Es war eine gute Idee, und angesichts ihrer glückseligen Miene merkte auch Hugues, wie durstig er war. Sie waren ja dermaßen hastig aufgebrochen, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, seinen Ziegenbalg aufzufüllen.
Als er dann das entsetzte Gesicht des Knappen sah, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, dem Burschen die Ängste ein für alle Mal auszutreiben. Ohne ein weiteres Wort kniete er am Bachufer nieder und legte die Hände zusammen, um Wasser zu schöpfen.
„Milord!“, rief Luc stockend. „Ihr fallt gleich unter den Zauberspruch der Hexen!“
Während er schöpfte, sah Hugues hinüber zu Sophie, die offenbar schon erwartet hatte, dass der Knappe aufs Heftigste widersprechen würde. „Ach was, da hat man dir ein Ammenmärchen erzählt“, wiegelte er ab und sah, wie ein einzelner Wassertropfen von Sophies Lippen rann und sich im Halsausschnitt ihres Gewandes verlor. Am liebsten hätte er ihn zurückgeholt und konnte gerade noch an sich halten. Als dieser Tropfen verschwand, verflüchtigte sich auch jegliches Denken aus Hugues’ Kopf, sodass er sich ganz bewusst anstrengen musste, um einen klaren Gedanken zu fassen.
„Eine hat mich wohl schon verhext“, brummte er leise, sodass nur sie es hörte. Sophie lachte verhalten über den Scherz.
Als Hugues seinen Durst löschte, rückte der Knappe an seine Seite und leckte sich die Lippen, während er seinem Herrn aufmerksam zusah, als müssten jeden Moment die Folgen des verbotenen Tuns sichtbar werden. In aller Ruhe und mit sichtlichem Genuss ließ Hugues sich noch eine Handvoll des eiskalten Wassers munden, ehe er sich dann ausgiebig das Gesicht wusch.
Plötzlich erfasste ihn eine ganz sonderbare Heiterkeit, war er doch fest davon überzeugt, dass sein Knappe die Schauermärchen, die er auf dem Schoß seiner Großmutter gehört hatte, viel zu ernst
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