Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
hatten.
„Morgen früh wird der Weg bestimmt wieder deutlich erkennbar sein“, vermutete Hugues in einem Ton, der möglichst überzeugend klingen sollte. Sophie lächelte vertrauensvoll, aber der Knappe ritt mit bangem Gesicht neben ihr her, während sie dem Geräusch des rauschenden Wassers zustrebten.
Inzwischen waren sie gänzlich vom Weg abgekommen, denn die Kiefernstämme drängten sich dicht von allen Seiten heran, gleichsam als wollten sie die Gruppe bei den Kleidern festhalten und so am Weiterreiten hindern. Mit angelegten Ohren und stur eingezogenem Kopf zwängte sich Hugues’ Hengst durch die Baumlücken, geradezu das Paradebeispiel des braven Pferdes, das notgedrungen den Anweisungen eines Irren folgen muss.
Zu beiden Seiten knackten die Zweige, als die drei sich durchs Dickicht kämpften, und fast kam es Hugues so vor, als machten sie dabei einen ungewöhnlich großen Lärm. Es war wohl auch keine Täuschung, dass die Bäume irgendwie den Eindruck erweckten, als seien die Eindringlinge ihnen höchst zuwider. Trotzdem zwang er die Gäule vorwärts, während das Rauschen immer dröhnender wurde.
Dann plötzlich brachen sie ohne Vorwarnung aus dem Tann heraus, als hätten die Bäume sie angewidert ausgespuckt. Der Hengst scheute, als er sich auf einmal bis zu den Knien im Wasser wiederfand. Entzückt hielt Sophie den Atem an, während die beiden Zelter sofort hinter Hugues’ Pferd ins Wasser sprangen und Hugues sich völlig entgeistert umblickte.
Das Fleckchen, auf das sie nun gestoßen waren, strahlte einen solchen Frieden aus, dass Hugues anfangs gar nicht recht glauben mochte, wie es einem Wald, welcher so feindselig und unheimlich wirkte, so nahe sein konnte. An dieser Stelle war der Wasserlauf breiter und tiefer als dort, wo sie sich gelabt hatten – falls es überhaupt derselbe Bach war, und er strömte zudem auch hurtig und quirlig dahin. Zu beiden Seiten beugten sich wettergegerbte Stämme über das Wasser, als wollten sie aus den klaren Tiefen trinken. Über dem Flüsschen selbst aber war der nächtliche Himmel zu sehen, sodass Hugues den Kopf in den Nacken legte und kurz zu den Sternen hinaufschaute.
Zur Linken stieg die Landschaft abrupt an bis zu einem Hügelkamm. Dieser überragte zwar die Kiefernkronen, lag aber allem Anschein nach noch in der Waldesmitte, denn vor dem indigoblauen Firmament hoben sich die Umrisse weiterer Laubbäume ab, welche den Gipfel säumten. Eine wahre Gottesgabe war diese Erhebung, denn nun konnte Hugues am Morgen die Anhöhe erklimmen und sich von dort einigermaßen orientieren, ehe sie dann den Marsch fortsetzen würden. Von oben, so seine Vermutung, ließ sich der Weg gewiss wieder erkennen.
Inzwischen stellte er fest, dass es auch linker Hand rauschte, und noch während er seinen Hengst stromaufwärts lenkte, erriet Hugues bereits, was sie dort finden würden. Und als sie dann eine Biegung umrundeten, entfuhr Sophie ein ehrfürchtiges Raunen. Vor ihnen lag ein sprühender Wasserfall, dessen im Sternenlicht funkelnde Kaskaden von der Klippe hinunterstürzten und sich unten in Teiche und Tümpel teilten, um anschließend in sprudelnden Rinnsalen den Rössern um die Fesseln zu wirbeln und sich als Bach ihren Weg zu bahnen.
„Hier schlagen wir das Nachtlager auf“, sagte Hugues, hocherfreut darüber, dass Sophie sich ihm mit leuchtenden Augen zuwandte.
„Was für ein wunderschönes Plätzchen“, rief sie begeistert, und all seinen Sorgen zum Trotz verspürte Hugues doch so etwas wie gespannte Erwartung und Freude. Denn am Morgen würden sie den Weg gewiss wiederfinden, und dieser Fleck hier war einfach zauberhaft.
„Lug und Trug ist das“, rief Luc verdrossen, während sein Pferd planschend zum Ufer stapfte und dort die Böschung erklomm. „Falls wir uns überhaupt getrauen zu schlafen, wachen wir hundert Jahre nicht mehr auf.“
„Dann brauchen wir vielleicht dringend einen solch langen Schlummer“, versetzte Hugues aufgeräumt, während er seinem Knappen folgte und aus dem Sattel stieg. Er hatte nicht die geringste Absicht, sich von dem Unheilsgeschwafel des Burschen die Laune verderben zu lassen.
In dieser Nacht, so nahm er sich mit wachsender Erregung vor, werden wir uns erforschen, Sophie und ich. Und als er sie aus dem Sattel hob, lächelte sie auf eine Weise, die ihm verriet, dass auch ihr derselbe Gedanke im Kopf herumging.
„Ach, Milord, begreift Ihr’s denn wirklich nicht?“ Luc ließ einfach nicht locker. „Das ist doch alles
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